Die Insel der Mandarine
aber irgendwie auch rührende Wei-Schlange mit ihren
zwei menschlichen Köpfen, den albernen Hütchen und der kleinen purpurroten
Jacke. Sie war jedoch riesengroß, aus ihren zwei Mündern ragten Fangzähne, und
ihr Leib wand sich in schimmernden Bögen. Keuchender Atem kündigte das
Auftauchen von Wirt Sechsten Grades Tu hinter meinem Rücken an. Er wankte mit
ausgebreiteten Armen auf die Dämonengottheit zu. Seine Augen waren glasig vor
Verzückung, und seine Stimme war von Ehrfurcht erfüllt.
»Oh, ruhmreiche
Wohlschmeckende Schlange von Serendip, du sollst in Wein und Honig baden, den
Säuglinge mit ihrem Atem gewärmt haben! Du sollst in der getrüffelten Milch
säugender Seeschlangen gedünstet werden! Du sollst mit dem Saft von Perlen
begossen werden, die in Einhorntränen aufgelöst wurden! Man wird dich verehren!
Man wird dich anbeten !« Wirt Sechsten Grades Tu
breitete seine Arme aus, so weit es nur ging und zog die Schlange in liebender
Umarmung an die Brust. Die Wei-Schlange ringelte ihren Leib um den Wirt, und
einen Augenblick lang standen die beiden in stiller Entrückung da. Dann wurde
ich von einem grellen Blitz geblendet, und als mein Blick sich wieder klärte,
schwang sich ein großer weißer Kranich mit einer Windbö empor und flog vor der
aufgeblähten, blutroten Sonnenscheibe davon. 1 »Ochse!«
Ich riß den Blick von dem
davonfliegenden Kranich los und wandte mich Meister Li zu, der zu einem
weiteren Käfig hastete. Ich ließ den Käfig, den ich noch in der Hand hielt,
fallen, stieß einen heiseren Schrei aus, der einer Gans alle Ehre gemacht
hätte, bückte mich eilig wieder danach, griff hinein und zog die kleine
zweigezackte Gabel heraus. Als ich mich auf den nächsten Käfig stürzen wollte,
stellten sich mir die beiden letzten Mandarine und Li die Katze in den Weg. Das
Problem war, daß sie drei oder vier Soldaten bei sich hatten, und als ich sie
mit einer Lanze, die ich einem toten Soldaten weggenommen hatte, abzuwehren
versuchte, wurde ich zwischen zwei umgestürzten Thronstühlen festgeklemmt. Der
Krötendämon spie immer noch Säure, achtete aber darauf, diejenigen, die die
richtige Geste machten, nicht zu verbrennen, von dieser Seite hatte ich also
keine Schwierigkeiten zu erwarten. Während ich zu verhindern suchte, daß der
Speer eines Gegners mein zweites Rückgrat wurde, vernahm ich die Worte: »...
Vier... Fünf... Sechs... Sieben... Acht!«
Diesmal schloß ich die
Augen, bevor mich der Blitz blendete, und als ich sie geöffnet und die
entsprechende rituelle Handbewegung gemacht hatte, sah ich vor mir das einzige
weibliche Wesen unter den Geschwistern, Nu Pa, die aussah wie eine
tiefhängende Wolke von nicht mehr als zwei Fuß Höhe. Endlos lange Nebelarme
reckten sich daraus immer weiter hervor, riesige Hände aus wogendem Sumpfnebel
öffneten sich und griffen mit ihren Fingern nach aufheulenden Soldaten und kreischenden
Eunuchen, auf deren Gesichtern und Körpern sich entsetzliche schwarze Beulen
ausbreiteten. Sie griffen nach den Schwären, rannten kopflos durcheinander, und
schließlich stürzten sie zu Boden, wo sie sich in Krämpfen wanden und starben.
Ein mit schwarzen Blasen
übersäter Eunuch wälzte sich schreiend zwischen den Füßen der Männer, die mich
eingekreist hatten. Dadurch gelang es mir, den Pinsel aus dem letzten Käfig zu
reißen. »Ziege, Ziege, spring über den Wall, rupf Gras und füttere deine
Mutter; ist sie nicht auf dem Feld und im Stall, gib es deinen hungrigen
Brüdern: Eins, Zwei, Drei Vier, Fünf, Sechs, Sieben, Acht !« Ich preßte die Augen fest zu, machte die erforderlichen Gesten und sah gerade
rechtzeitig wieder klar, um das Ende von Li der Katze mitzuerleben.
Ch'i ist eine der merkwürdigsten
Dämonengottheiten. Er verströmt einen moderigen Duft, seine Farbe ist das
grauschimmernde Weiß der Trauer, er gibt ein leises, seufzendes Klagen von sich
und hat die Gestalt eines sich schlängelnden Leichentuchs. Das weiche Tuch
glitt über die Tribüne wie eine Schlange, und als es ein Beinpaar erreichte,
wand es sich darum. Li die Katze hörte auf, mich anzuschreien und blickte auf
seine Füße hinunter. Er schwang sein Schwert, schaffte es aber lediglich, sich
den linken Schenkel aufzuschlitzen. Mit einem spitzen Schrei ließ er die Waffe
fallen und griff mit beiden Händen nach dem Tuch. Es leistete keinen
Widerstand, sondern löste sich, wenn er daran zog, von seinen Beinen, begann
sich aber sogleich wieder an ihm hochzu winden, sobald er
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