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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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immer sehr interessiert an allem Fremden. Wir sollten auf sie warten. Oder ist sie womöglich verheiratet und lebt woanders? Ich bin so gar nicht auf dem Laufenden, denn seit beinahe zwei Jahren hat sie mir nicht mehr geschrieben.«
    Nichts, dachte Johanna, er weiß gar nichts. »Leah weilt nicht mehr in Singapur«, erklärte sie schnell. »Friedrich wird Ihnen später alles Wichtige berichten.« Seine unverhohlene Enttäuschung stimmte sie nachdenklich. War er wegen Leah hier? Die beiden mochten sich, und er war noch immer unverheiratet. Wollte er um ihre Hand anhalten?
    Ein unbehagliches Schweigen senkte sich über die Gesellschaft, das erst von der Ankunft des jungen Inders unterbrochen wurde, dem es oblag, die Post zuzustellen. Nur ein Brief war für sie bestimmt, und Friedrich lachte etwas gezwungen, als er den Absender erkannte. »Ich nehme an, dies ist der Brief, in dem du uns deinen Besuch ankündigst«, sagte er zu Henry gewandt.
    Bis auf Friedrich brachen alle in Gelächter aus, zu komisch war die Vorstellung, dass Farnell auf demselben Schiff gereist war wie sein Brief. Johanna musterte Farnell erstaunt. Sie hatte nicht gewusst, dass er zu lautem, unbeschwertem Lachen fähig war. Es stand ihm gut.
    Das Gespräch wurde lebhaft, auch wenn sich Friedrich zu Johannas Verwunderung kaum beteiligte. Sie sprachen über den beendeten Krieg, den schrecklichen Taiping-Aufstand in China, der bereits Millionen Menschenleben gefordert hatte, über die Preise von Waren und die kleinen Anekdoten des Alltags, bis Johanna ihre Neugierde nicht mehr bezähmen konnte.
    »Nun haben Sie so viel erzählt«, wandte sie sich an Henry Farnell. »Doch wir wissen immer noch nicht, was Sie nach so langer Zeit wieder nach Singapur geführt hat. Friedrich hat Sie vermisst, wollte sogar schon nach Hongkong reisen, doch nach Hermanns Geburt hatte ich Angst, allein zu bleiben.« Johanna staunte insgeheim, wie selbstverständlich ihr die Lügen über die Lippen gingen. Friedrich, der den gesamten Nachmittag steif, beinahe reserviert gewirkt hatte, warf ihr einen dankbaren Blick zu.
    »Ich habe dich auch vermisst, mein Freund«, antwortete Farnell, der den Blickwechsel zwischen den Eheleuten nicht bemerkt hatte. »Aber bald wird sich vieles ändern.
Farnell Trading Company
hat sich prächtig entwickelt, und ich möchte expandieren. Ich habe die Leitung meiner Geschäfte in Hongkong einem überaus fähigen Mann in die Hände gelegt, den ich nach meiner Rückkehr zu meinem Gesellschafter zu machen gedenke.« Er warf einen kurzen, forschenden Blick auf Friedrich. Als der keine Regung zeigte, fuhr er fort: »Durch den regelmäßigen Dampfschiffverkehr ist die Reisezeit zwischen Singapur und Hongkong auf eine Woche geschrumpft, es wäre mir also möglich, mich auf Dauer in Singapur niederzulassen und trotzdem in regelmäßigen Abständen in Hongkong nach dem Rechten zu sehen. Ich möchte hier eine Dependance aufbauen.« Er machte eine Pause. Seine Augen fanden Johannas, hielten sie fest, und sie überlief eine Gänsehaut. So dunkel waren sie, so unergründlich. Sie erschauerte. Was ging hier vor sich? Sie war immer davon ausgegangen, dass Farnell sie nicht sonderlich mochte, doch an diesem Nachmittag benahm er sich ihr gegenüber aufmerksam und beinahe liebevoll.
    Er riss sich von ihr los und holte tief Luft. »Außerdem möchte ich einer Ehefrau das ungesunde Klima in Hongkong nicht zumuten.«
    »Ehefrau?« Mercy fiel beinahe vom Stuhl vor Begeisterung. »Und Sie haben keinen Ton gesagt! Wo ist sie? Wer ist sie?«
    »Noch habe ich sie nicht gefunden«, erklärte Farnell. »Ich bin nur kurz in Singapur und reise am 18 . Februar nach England. Dort werde ich mich meinen Kunden und Handelspartnern persönlich empfehlen und außerdem auf Brautschau gehen.«
    Gesprächsfetzen flogen hin und her. Insbesondere Mercy, die sich bei den Reden über Politik und Geschäfte gelangweilt hatte, befand sich jetzt auf vertrautem Terrain. Der arme Farnell konnte sich kaum retten vor gutgemeinten Ratschlägen und die Grenzen der Schicklichkeit strapazierenden Andeutungen. Niemand bemerkte, dass Johanna verstummte. Sie sollte sich für Farnell freuen und ihm Glück bei der Wahl seiner Braut wünschen, stattdessen fühlte sie sich, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen fortgezogen. Und sie hatte keine Ahnung, warum.
     
    Henry Farnell verabschiedete sich erst am späten Nachmittag. Wie schon bei seinen früheren Besuchen hatte er ein Zimmer in Mr Goymours

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