Die Insel der Orchideen
Pension genommen. Der Zufall wollte es, dass sich Johanna bei der Verabschiedung für einen Moment allein mit ihm neben der Kutsche wiederfand; lediglich Hermann klammerte sich an ihre Hand.
»Es ist mir eine große Freude, Sie wiederzusehen«, sagte Farnell. »Sie und Friedrich natürlich. Und den kleinen von Trebow.« Eine verlegene Pause entstand. »Es wundert mich, dass Sie noch immer den Bungalow von damals bewohnen. Ich hatte vermutet, Friedrich würde sich nach etwas Repräsentativerem umsehen.«
Johanna drehte sich um und nahm die abblätternde hellrosa Farbe der Holzwände in Augenschein. »Es ist klein, das stimmt, und es benötigt dringend einen Anstrich, aber ich liebe dieses Haus. Ich habe es gemeinsam mit Vater eingerichtet, wissen Sie?«, sagte sie leise. Just in diesem Moment ließ die untergehende Sonne die Krone des Tamarindenbaums aufleuchten. Eine Gänsehaut überlief sie. Unter dem Baum hatten sie am letzten Abend vor der Abreise mit dem Vater getafelt. »Als es mit
Von Trebow Trading
bergaufging, wollte Friedrich ein größeres Haus weiter im Inland kaufen, doch ich bringe es nicht übers Herz. Hier leben meine Erinnerungen. Wir sind ja nur noch zu viert und brauchen keine Dienerschar, nur Ping und Lim und den Punkah-Boy. Zur Tee trinkenden Mem tauge ich nicht, ich kümmere mich lieber um den Haushalt und anderes mehr. Seit Leah verschwunden ist …«
»Verschwunden?«, unterbrach er sie. »Sie hat nicht geheiratet?«
Johanna schüttelte den Kopf. Der Kloß in ihrem Hals erdrückte jedes Wort. Wie so oft hörte sie ihr eigenes und Leahs Lachen im rauschenden Regen, als sie barfuß im Sturm getanzt hatten.
Er fasste sie sanft am Arm. »Ist es so schlimm?«
»Friedrich wird es Ihnen erzählen. Urteilen Sie nicht zu hart. Leah wollte fliegen.«
14
Januar 1861 , wenige Tage später
G anz Singapur war auf den Beinen. Wie immer zu dieser Gelegenheit verwandelte sich die Stadt auch am Neujahrstag des Jahres 1861 in einen riesigen Festplatz. Die Einwohner maßen sich im Kricket, Tauziehen und Laufen und vielem mehr. Angesteckt von der allgemeinen guten Laune genoss auch Johanna den Tag. Der Morgen hatte mit einem schnellen Frühstück begonnen, denn Hermann hielt es kaum auf seinem Stuhl, als spürte er, dass etwas Außerordentliches vor sich ging. Auch im Robinsonschen Haus hatte man sich den quengelnden Kindern gebeugt, alle Etikette fahrenlassen, ein Reis-Congee heruntergestürzt und sich hastig ausgehfertig gemacht.
Den Vormittag verbrachten die von Trebows, Alwine Uhldorff, Henry Farnell und die Robinsons am Padang, dem weiten Rasengrund an der Esplanade, begrüßten Freunde und Bekannte und jubelten ihrem favorisierten Kricketteam zu. Die Stimmung war ausgelassen, und es machte nichts aus, dass die Mannschaft aus Handelsagenten und Assistenten ihren Gegnern, vor jugendlicher Kraft strotzenden Matrosen und Soldaten, haushoch unterlag. Friedrich, Henry und Andrew Robinson hatten jeder einen der Jungen auf den Schultern, die ihnen die Haare mit ihren vom Süßgebäck klebrigen Fingern zerzausten. Auf Johannas Drängen entbanden sie und Mercy die Kinderfrauen für diesen Tag ihrer Aufsichtspflichten. Freudestrahlend und mit einem Taschengeld versehen verloren sich Ping und Siti in der Menge. Lim war schon nach dem Frühstück in die Stadt gelaufen.
Gegen Mittag verließen sie den Padang und schlossen sich den Hunderten, vielleicht Tausenden Schaulustigen an, die sich in Richtung Meer bewegten. Bald war die Beach Road voller Menschen, die um die besten Plätze rangelten; manch junge Heißsporne erklommen gar die Bäume, so dass diese aussahen, als hätten sich bunte Vogelschwärme darin niedergelassen.
Andrew, Henry und Friedrich gelang es, einen Platz ganz vorn auf einem Steg zu sichern. Gespannt harrten sie des aufregendsten Spektakels, das der Kalender der Stadt zu bieten hatte: die Neujahrsregatta, wenn die Yachten der Europäer gegen die Prauen der Malaien antraten, die Bugis ihre Segelkünste unter Beweis stellten und selbst die chinesischen und indischen Leichterarbeiter es sich nicht nehmen ließen, um Preis und Ehre zu segeln.
»Sie sind ja ganz aufgeregt. Haben Sie einen Favoriten?«
Johanna sah auf. Wegen des Gedränges auf dem Steg stand Farnell so dicht neben ihr, dass sich ihre Arme berührten. Ihre Anspannung musste sich auf ihn übertragen haben, denn seine Augen glänzten voller Erwartung. Selbst Carl auf seinen Schultern zappelte nicht, sondern hatte seinen Blick fest
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