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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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chinesische und malaiische Sagen und Mythen kannte, war ihr ein Platz in der rauen Gemeinschaft sicher.
    Leah ließ ihre Augen über die Matrosen wandern. Es war eine wilde Schar, unter die sie sich gewagt hatte, lauter Kerle mit schwieligen Händen, harten Körpern und losem Mundwerk. Die meisten von ihnen hatte das Leben mitleidslos gebeutelt, und vielleicht war das der Grund, warum die Männer sie akzeptierten – aus dem wenigen, das Leah von sich preisgab, schlossen sie, dass auch ihre Bürde nicht leicht war.
    Ah Tee hob den Kopf; ihre Blicke trafen sich. Er lächelte, freundlich und ohne Hintergedanken. Leah lächelte zurück. Das Schicksal schlug wahrlich seltsame Kapriolen. Ausgerechnet diesen Männern fühlte sie sich das erste Mal seit der Abreise des Vaters nach China wirklich zugehörig.
    In dem Moment schallte ein aufgeregter Ruf über das Schiff.
    »Piraten!«
    Alarmiert ließen Leah und die Männer ihre Arbeit sinken. Wieder rief der Ausguck, dringlicher nun: »Piraten! Halb steuerbord!«
    Umgehend hasteten sie auf Deck. Leah schob sich zwischen zwei Matrosen an die Reling. Etwa drei Dutzend helle Segel leuchteten in großer Entfernung auf der tiefblauen Wasseroberfläche. Weit zu ihrer Linken brach sich die See an der Küste Sumbawas. Leah warf einen Blick zum Achterdeck, wo Kapitän Goh breitbeinig auf seinem Kajütendach stand, das Fernglas am Auge. Leahs Mund wurde trocken vor Anspannung. Waren die sich schnell nähernden Segler wirklich Piraten? Und wenn dem so war, würde es zu einem Kampf kommen? Ihre Finger krallten sich in aufwallender Panik um die Reling.
    Der Kapitän nahm das Fernglas herunter und wandte sich an die Mannschaft. »Kriegskanus!«, brüllte er. »Mindestens zweihundert Mann. Wir versuchen, sie auszusegeln. Los, an die Arbeit, wenn euch euer Leben lieb ist!«
    Die Männer hasteten zu ihren Plätzen, bald knatterte jeder verfügbare Fetzen Segeltuch im Wind. Die tiefliegende Dschunke drehte sich schwerfällig und nahm Fahrt auf. Leah sah zurück. Die Kriegskanus waren erheblich näher gekommen, schon konnte sie mit bloßem Auge die Rudersklaven und die Krieger erkennen. Und wenn es ihnen nicht gelang zu entkommen? Wild entschlossen sah sie sich nach etwas um, das sie zu ihrer Verteidigung einsetzen konnte.
    »Koch, komm her!«
    Sie fuhr herum und hastete zum Achterdeck.
    »Kapitän?«
    »Ich möchte, dass du dich versteckst, sollten die Piraten aufentern.«
    »Aber ich …«
    Eine Unmutsfalte zeigte sich auf seiner Stirn. »Ich mag dich, Xue Yan. Du bist eine ungeheuer mutige Frau. Es würde mir verdammt viel Kummer bereiten, solltest du zu Schaden kommen.«
    Seine deutlichen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Kleinlaut verzog sich Leah in ihre Kombüse. Die Matrosen würden heute ein schmackhaftes Essen besonders zu schätzen wissen.
     
    Die
Li Rong
machte gute Fahrt, doch die Kriegskanus holten auf. Bis zum Einbruch der Nacht hielten sie sich in gleichbleibendem Abstand zu der Dschunke, abwartend, lauernd. Leah stand, zur Tatenlosigkeit verdammt, den Männern im Weg, bis sie sich schließlich neben die Kapitänskajüte hockte, die Segel der Piraten immer im Blick. Der Kapitän ließ die Bordkanone klarmachen und verteilte die wenigen Gewehre und Pistolen an die Mannschaft, der Rest bewaffnete sich mit Dolchen, Schwertern, Knüppeln und Bootshaken. Leah hatte sich das längste und schärfste Küchenmesser in den Gürtel geschoben. Gegen die übermächtige Kraft eines Mannes oder gar eine Kugel würde das Messer nichts ausrichten, doch sie fühlte sich damit besser.
    Immer schneller sank die Sonne dem Horizont entgegen. Mit zusammengebissenen Zähnen verfolgte Leah das rotglühende Gestirn. Unfassbares Grauen packte sie, als ihr bewusst wurde, dass sie die Sonne vielleicht zum letzten Mal in ihrem Leben gesehen hatte. Sie umklammerte ihr Messer. Notfalls würde sie es gegen sich selbst richten, denn der Tod wäre allemal besser, als den Piraten in die Hände zu fallen.
    Ah Tee setzte sich neben sie. Mit dem letzten Sonnenstrahl war auch der Wind erlahmt. Unheilschwangere Stille legte sich über das Schiff. Von den Kanus drang kein Laut, wo vorher wildes Geschrei und aufpeitschende Trommelklänge ihr das Blut zum Stocken gebracht hatte. Es war die Ruhe vor dem Sturm.
    * * *
    »Eine schöne Aussicht«, bemerkte Henry und stützte sich auf das Fenstersims. Die sinkende Sonne hatte den Himmel über der Stadt in pudrigen Pastellschattierungen eingefärbt. Am

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