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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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draußen.
    Amelia hatte das aufziehende Gewitter nicht bemerkt. Sprachlos starrte sie auf die schwarzen Wolkentürme, die sich in rasender Eile auf sie zuwälzten. Blitze zuckten, Donner krachte, ein Windstoß beugte die Palmen rechts und links des durch einen sumpfigen Urwald führenden Erddamms, auf dem sie sich mittlerweile befanden. Der Kutscher zügelte sein Pony und rannte um die Kutsche herum, Henry nestelte hektisch von innen an den Jalousien, doch zu spät. Der Regen setzte mit einer Wucht ein, die Amelia nie für möglich gehalten hätte. Wasser sprühte zu den Fenstern hinein und durchtränkte ihr Kleid.
    »Singapur heißt dich willkommen, meine Liebe!«, brüllte Henry gegen das Unwetter an. Er war glänzender Laune.
    Amelia presste die Lippen zusammen. Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück. Der Regen ließ in seiner Heftigkeit kaum nach, so dass die Blenden geschlossen und ihr erste Eindrücke von der eigentlichen Stadt verwehrt blieben. Im Hotel de l’Esperanza, das sich trotz Henrys Versicherung, es handle sich um eines der besten Etablissements der Stadt, als eher armselige Unterkunft entpuppte, schloss sie sich umgehend in ihrem Zimmer ein und warf sich weinend aufs Bett. Worauf hatte sie sich bloß eingelassen?
    Später am Abend versöhnte sie sich ein wenig mit den Gegebenheiten. Das auf der Terrasse servierte Roastbeef, ein Gläschen Port und eine laue Brise vom Meer ließen die Möglichkeiten erahnen, die dieser Außenposten der zivilisierten Welt ihr bot. Henry überschüttete sie mit Aufmerksamkeit, erklärte ihr dies und das, aber sie hörte kaum zu. In Gedanken wählte sie bereits eine Garderobe für den anstehenden Besuch bei seinen Freunden.
    In gelöster Stimmung zogen sie sich schließlich in ihr Zimmer zurück. Kaum schloss sich die Tür, nahm Henry sie in die Arme. »Gib Singapur ein wenig Zeit«, sagte er. »Du wirst sehen, bald willst du nie wieder fort von hier.« Er zog sie noch fester an sich und küsste sie. Durch all die Stofflagen hindurch spürte sie jenes Ding zwischen seinen Beinen erwachen, das ihr noch immer Unbehagen und sogar ein wenig Angst einflößte. Natürlich hatte sie sich allerlei über gewisse unaussprechliche eheliche Pflichten zusammengereimt, aber nicht einmal ihre verheiratete älteste Schwester hatte sie darauf vorbereitet, wie hochnotpeinlich diese Angelegenheit war. Henry schien es allerdings zu genießen, und so gab sie seinen Gelüsten nach. Immerhin wollte sie Kinder. So viele wie möglich.
     
    »Du siehst wunderschön aus.« Henry war unbemerkt hinter sie getreten und suchte ihren Blick im Ankleidespiegel. Ihre hellblonden Locken, die sie glänzend gebürstet und mit Hilfe einer der Hotelzofen zu einer modischen Frisur aufgesteckt hatte, unterstrichen ihren ebenmäßigen, porzellanweißen Teint. Ihre Züge waren exquisit, der Hals geschwungen und ihr Körper grazil, ohne mager zu sein.
    Sie gab sein Lächeln zurück.
    Henry trat einen Schritt zurück. »Wirklich wunderschön«, wiederholte er, »aber findest du das Kleid nicht ein wenig prätentiös? Wir gehen doch auf keinen Ball, sondern besuchen Freunde.«
    »Prätentiös?« Amelia betrachtete ein letztes Mal prüfend ihr Spiegelbild. Die Saphire der Ohrhänger, Henrys Verlobungsgeschenk, strahlten mit ihren tiefblauen Augen um die Wette. »Aber nein, mein Liebster. Immerhin ist dein Freund Aristokrat.«
    »Wenn du meinst.«
    Sie drehte sich um und funkelte ihn an. »Und ob ich das meine.«
    »Kein Grund zu schmollen. Wir werden uns an einem solch schönen Tag doch nicht über Belanglosigkeiten streiten.«
    Amelia lenkte ein. Während der kurzen Fahrt registrierte sie mit Befriedigung repräsentative Verwaltungsgebäude und Villen, gestutzte Rasenflächen, ansprechende Kirchen und lustwandelnde europäische Damen in weißen Kleidern, die ihre Gesichter mit zierlichen Schirmen vor der Sonne schützten. Weniger begeistert war sie von den allgegenwärtigen braunen und schwarzen Menschen, die geschäftig hin und her eilten. Einmal sah sie zu ihrer Überraschung sogar eine überaus prächtige Kutsche, die einen in westlicher Manier gekleideten Chinesen beherbergte.
    Gespannt blickte sie aus dem Fenster, als Henry ihr bedeutete, ihr Ziel sei gleich erreicht. Mit Befremden musterte sie die karierten Röcke einiger indischer Männer, die auf einen Götzentempel zustrebten, und einen europäischen Herrn in weißem Tropenanzug, der sich angeregt mit einem braunen Mann unterhielt. Immerhin

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