Die Insel der Orchideen
der Herr ernährte sie doch.
Heftiges Rütteln riss ihn aus dem Schlaf. Bevor er einen Laut von sich geben konnte, legte sich eine Hand auf seinen Mund. Er kämpfte dagegen an, doch der Mann verstärkte nur seinen Griff. Jetzt drehte er den Kopf, so dass der bleiche Halbmond sein Gesicht beschien.
»Schhh!« Bowie lockerte den Griff ein wenig. »Keinen Laut. Der Tiger schleicht ums Dorf. Kommen Sie, wir machen ihm den Garaus.«
Friedrich rappelte sich auf. Kurz darauf ging er leise mit Bowie durch das schlafende Dorf. Er wünschte, die Inder wären bei ihnen, doch weder er noch Bowie wussten, wo die Männer untergekommen waren. Hinter einem auf der Seite liegenden Bootsrumpf fanden sie ein Versteck. Aus ihrer Deckung heraus hatten sie einen guten Blick über die in Mondlicht getauchte Brachfläche und einen kleinen eingezäunten Pferch, in dem sich einige Ziegen unruhig aneinanderpressten. Die Gewehre im Anschlag lehnten sie gegen das Boot. Der Mond sank hinter die Wipfel hoher Kokospalmen, der Tag war nicht mehr fern. Schon kehrten die Flughunde zu ihren Schlafbäumen zurück, die riesigen Fledermausflügel majestätisch ausgebreitet. Ein Rascheln ließ Friedrich aufmerken, doch es war nur ein großer Waran auf dem Weg zum Fluss.
Ein mächtiger Schatten tauchte am Waldsaum auf, war einen Moment deutlich auszumachen, zerfloss, verschwand. Friedrich spürte, wie sich Bowie anspannte, und auch ihm schoss die Aufregung in die Glieder. Eine Ziege meckerte ängstlich. Nichts geschah. Hatten sie sich getäuscht? Friedrich wollte gerade den Finger vom Abzug nehmen, als die Bestie mit gewaltigen Sätzen die freie Fläche überquerte, direkt auf den Pferch zu, in dem die Ziegen dem Unheil mit panischen Ausbruchsversuchen zu entgehen versuchten. Friedrich versteinerte angesichts der geballten Kraft des Tigers. Die Nacht war hell genug, so dass man das Spiel der Muskeln erkennen konnte, die Wucht und Schwere seines Angriffs. Ein Schuss knallte, noch einer und noch einer, der Tiger fauchte und brüllte, dann brach er zusammen, langsam, unendlich langsam, und es war vorbei.
Nach einem Moment absoluter Stille quollen Menschen aus allen Hütten und stürmten mit gezückten Messern auf die tote Raubkatze zu. Bowie hatte Mühe, ihnen klarzumachen, dass er auf dem Fell als Trophäe bestand; den Rest des Kadavers, das Fleisch, die Zähne, Klauen, Ohren, Barthaare und nicht zu vergessen den Penis und die Hoden würde er ihnen überlassen, wohl wissend, dass daraus von Chinesen hochgeschätzte Medizin gegen Mutlosigkeit und schwindende Manneskraft hergestellt wurde. Friedrich wandte der barbarischen Szene den Rücken zu und ging zur Hütte zurück. Er zitterte am ganzen Körper.
Bowie folgte ihm kurze Zeit später und hockte sich neben ihn auf die Veranda. Schon setzte der sich ankündigende Sonnenaufgang den Himmel in Brand, mit jedem Wimpernschlag wurde es heller.
»Und? Hatten Sie Spaß?«
Friedrich presste vor ohnmächtiger Wut die Zähne zusammen. Er war mittlerweile davon überzeugt, dass Bowie nur auf seiner Begleitung bestanden hatte, um ihn vorzuführen. Er war nicht sein Freund, war es nie gewesen. Friedrich hätte sich ohrfeigen können, dass er sich von Bowie hatte einlullen lassen. Hass auf den großen, groben Mann bemächtigte sich seiner. Warum hatten sich jemals ihre Wege kreuzen müssen?
Bowie griff Friedrichs Gedanken auf, als hätte er in seinem Kopf gelesen.
»Sie wissen, wie viel Sie mir schulden?«, fragte er beiläufig.
»Eine Menge«, sagte Friedrich widerwillig. »Die genaue Summe kenne ich nicht.«
»Ich schon.« Bowie beschirmte seine Augen und verfolgte den Flug eines Nashornvogels. Bald erschienen ein zweiter und ein dritter. »Sie befinden sich im selben Sumpf wie vor einem Jahr, mein Lieber«, fuhr er fort. »Ihre Firma gehört mir, Ihr Haus, alles, was Sie besitzen. Mich wundert, dass Ihr stiller Teilhaber sich nicht rührt.«
Friedrich wand sich unter seinem prüfenden Blick.
»Ich verstehe«, sagte Bowie seelenruhig. »Sie haben Farnell gefälschte Geschäftsberichte geschickt. Er denkt, das Handelshaus wächst und gedeiht unter Ihrer kundigen Führung.«
Friedrich sackte noch mehr in sich zusammen. »Woher wissen Sie von Henrys Teilhaberschaft?«
Bowie winkte ab. »Ich weiß vieles.«
»Es sind schwierige Zeiten«, sagte Friedrich und hasste sich selbst für den kläglichen Ton seiner Stimme. »Seit Ende des Krieges mit den Chinesen nutzen viele Schiffe die neuen Häfen dort. Und
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