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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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hatten, war ihnen keine Menschenseele begegnet; den in den Hügeln rings um den Kinabalu lebenden Stämmen galt der Berg als Sitz ihrer Götter. Nur wenn ihnen gebührend geopfert wurde, durfte man ihn ersteigen, weshalb einer der Träger sieben weiße Hühner und sieben Eier auf dem Rücken trug, die nicht für den Verzehr der Expeditionsteilnehmer bestimmt waren. Außerdem hatte sich ihnen ein Babalian angeschlossen. Zu gegebener Zeit würde dieser Zauberer die Opferzeremonie leiten, von deren Erfolg das Wohl und Wehe Leahs und der Männer abhing. Mit gesenkter Stimme verriet Langa ihnen, dass weiter oben, in dem von dem Geisterhund bewachten Reich der Steine, eine entsetzliche Kälte herrschte. Alle Menschen würden von einer Krankheit heimgesucht, die ihnen Schauer über den Körper jagte und sie mit den Zähnen klappern ließe. Es war tatsächlich schon merklich kühler geworden, doch Leah bezweifelte, dass die Temperaturen selbst auf dem Gipfel auch nur annähernd mit der Kälte eines Hamburger Wintertages konkurrieren konnten. Erstaunt stellte sie fest, dass sie sich nicht daran erinnerte, wie es sich anfühlte, ernsthaft zu frieren.
    Schon am frühen Nachmittag richteten sie ihr Lager ein. Leah war erleichtert. Ihre Wadenmuskeln schmerzten von der ungewohnten Belastung, und es beunruhigte sie, dass sie immer häufiger auf Langas Unterstützung angewiesen war. Allein hätte sie manchen Anstieg nicht bewältigt. Auch Bertrand keuchte und schnaufte, als hätte er sich nie zuvor in seinem Leben bewegt. Er erholte sich allerdings erstaunlich schnell und verschwand schon nach kurzer Zeit mit Langa im dichten Wald, ohne sich mit Leah abzusprechen.
    Mit dem bitteren Gefühl, ausgeschlossen zu sein, suchte sie sich einen Platz abseits des Lagers und beschäftigte sich mit der Ausbeute des Tages – unzählige von den Ästen und aus dem Laub gepflückte Käfer, Schmetterlinge, Schrecken, Spinnen und andere Gliederfüßer harrten einer Begutachtung und, wenn sie interessant waren, einem Schicksal als Präparat in Bertrands ständig wachsender Sammlung. Während sie ihrer Arbeit nachging, wuchs Leahs Ärger. Auf Bertrand, der sie schroffer denn je behandelte, aber mehr noch auf sich selbst. Warum nur lag ihr so viel daran, dass der hässliche Engländer sie mochte?
    Nur noch ein Käfer war übrig, ein rotbrauner, glänzender Blatthornkäfer von ungeheuren Ausmaßen. Er war so schwer, dass sie sein Gewicht spürte, als sie ihn auf ihren Handteller setzte, den er fast ausfüllte. Sie strich über den glatten Flügelpanzer. Sammler in Europa hätten einen hohen Preis für einen solchen Riesen gezahlt. Mit einem Mal erschien es ihr frevelhaft, den Prachtkerl zu töten.
    »Darf ich mich setzen?« Bertrand wartete die Antwort nicht ab und ließ sich neben ihr auf dem umgestürzten Baumstamm nieder. Der Käfer fiel auf den Boden und krabbelte davon, so schnell es seine für den massigen Körper viel zu zerbrechlich scheinenden Beinchen erlaubten.
    »Fort ist er«, sagte sie leichthin, doch ihr pochendes Herz strafte ihre äußere Ruhe Lügen. Das erste Mal seit langer Zeit lächelte Bertrand sie an, und die Wärme in seinem Blick ließ sie vor Erleichterung zittern. So sah niemand aus, der einen verachtete. Plötzlich schwammen ihre Augen in Tränen. Sie gab sich alle Mühe, sie zurückzupressen. Leider hatte Bertrand ihre Schwäche schon entdeckt.
    »Um Himmels willen, was ist mit Ihnen?«
    »Nichts.«
    »Sind Sie sicher?«
    Sie kehrte ihm den Rücken zu und wischte sich über die Wangen. Als sie sich wieder umdrehte, weiteten sich ihre Augen vor Verblüffung. Bertrand hatte sich auf ein Knie niedergelassen und streckte ihr einen kuriosen Strauß aus Orchideen, Farnen, einer Kannenpflanze und allerlei anderen Gewächsen entgegen, den er zuvor hinter seinem Rücken verborgen gehalten haben musste.
    »Leah Namenlos«, sagte er einfach. »Es ist mein dringlichster Wunsch, dass Sie meine Frau werden.«
    »Wie … wie bitte?«, stotterte sie. Mit allem hatte sie gerechnet, einem klärenden Gespräch, vielleicht einer Entschuldigung, aber ganz sicher nicht mit einem Heiratsantrag.
    »Heiraten Sie mich. Wenn sie nein sagen, frage ich Sie in ein paar Tagen erneut. Sie werden mich nicht mehr los.«
    »Aber das geht doch nicht.«
    »Warum denn nicht?«
    »Weil …« Sie suchte nach Worten. »Ach, Sie wissen es doch: weil ich mit einem Mann zusammen war«, sagte sie schließlich trotzig.
    »Haben Sie ihn geliebt?«
    Leah

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