Die Insel der Orchideen
geschehen ist«, sagte sie und nahm ihm gegenüber Platz.
Er schrak hoch. »Was schleichst du hier herum?«, herrschte er sie an.
»Ich schleiche nicht. Du warst in Gedanken.« Obwohl sein abweisender Ton sie verletzte, versuchte sie einzulenken. »Ich sagte, ich bin froh, dass du wohlbehalten zurück bist.«
»Ach ja?«
»Ja. Des Nachts sind die Straßen voller Gefahren. Wie war euer Abend? Wart ihr im Club?«, wechselte sie das Thema. Ein Fehler, wie sich herausstellte. Friedrich fuhr auf.
»Was geht dich das an?«, fauchte er.
Im ersten Moment war Johanna sprachlos, dann kochte die Wut auch in ihr hoch. Sie hatte sich nicht den ganzen Abend mit Sorgen über das Wohlergehen ihres Mannes gequält, um sich nun von ihm beschimpfen zu lassen. Sie war ein langmütiger Mensch, sie verzieh vieles, doch jetzt lief das Fass über.
»Es geht mich sogar eine Menge an!«, rief sie. »Oder hast du vergessen, dass du die Verantwortung für eine Frau und ein Kind trägst?«
»Wie könnte ich es vergessen«, sagte er bitter. »Ich denke ja den ganzen Tag an nichts anderes. Ein Klotz am Bein ist nicht leicht zu ignorieren.«
»Ein Klotz am Bein?«, flüsterte Johanna fassungslos. »Mehr sind wir dir nicht?«
Friedrich war aufgesprungen. Instinktiv drückte sich Johanna in den Stuhl, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und seine drohende Gestalt zu bringen. Er stank nach Alkohol, doch da war noch etwas anderes. Johanna sog die Luft ein. Parfüm. Der Duft eines Frauenparfüms hing in seiner Kleidung. Die Bestätigung ihrer langgehegten Befürchtung ließ ihr übel werden. Sie unterdrückte den Brechreiz.
»Wie solltet ihr mir mehr sein?« Er spuckte die Wörter geradezu aus. »Ich schleppe eine frömmelnde Schwiegermutter durch, mein Sohn ist mir dank deiner Einflüsterungen fremd. Und meine Frau?« Er lachte auf. »Wann bist du eigentlich das letzte Mal deinen ehelichen Pflichten nachgekommen?«
»Merkst du nicht, wie sehr du die Tatsachen verdrehst? Dein Sohn hat Angst vor dir, weil du ihn zurückstößt. Und was mich anbelangt …« Sie holte tief Luft. »Hast du eigentlich eine Ahnung, wie sehr mir deine Berührungen fehlen? Wie ungeliebt ich mich seit langer Zeit fühle, während du dich mit einer Geliebten vergnügst?« Die Erinnerung zuckte erneut durch ihren Kopf. Drei Monate war es her, seit sich Johanna in das zwielichtige Viertel verirrt hatte. Sie hatte sich eingeredet, dass es nicht Friedrich war, den sie aus dem Hurenhaus hatte gehen sehen.
»Eine Geliebte ist es wohl kaum«, ergänzte sie jetzt verächtlich. »Jemand wie du muss bezahlen, damit eine Frau sich ihm hingibt. Ich war so blind! Du widerst mich an.« Sie erhob sich, um ins Haus zu gehen. Friedrich verstellte ihr den Weg.
»Ich widere dich also an«, sagte er. Die plötzliche Ruhe in seiner Stimme machte Johanna mehr Angst, als wenn er sie angeschrien hätte. »Dich bezahle ich auch, vergiss das nicht. Oder glaubst du, dein Essen, dein Haus, die Diener sind himmlisches Manna?« Er zerrte sie ins Haus und die Treppe hinauf. Johanna kämpfte stumm. Was auch immer geschah, Hermann durfte auf keinen Fall etwas davon mitbekommen. Schon jetzt hatte Friedrich unwiderruflich zerstört, was Johanna jemals mit ihm verband, doch ihrem Sohn zuliebe würde sie noch viel mehr ertragen, ohne einen Laut von sich zu geben.
Friedrich stieß sie so heftig ins Schlafzimmer, dass sie strauchelte. Er schloss die Tür hinter sich und legte den Riegel vor. »Nun, meine liebe Johanna«, sagte er in neutralem Ton, während er sein Hemd aufknöpfte, »heute Nacht wirst du Gelegenheit haben, einen Teil deiner Schulden einzulösen.«
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TEIL III
1867 bis 1883
17
März 1867 , fünf Jahre später
B ist du sicher, dass ich dich allein lassen kann?« Johanna streichelte über Alwines Wange. So zerbrechlich war sie, so durchsichtig die Haut. Seit die schreckliche Brustkrebskrankheit ihre immer schon zierliche Mutter im Würgegriff hielt, wurde sie täglich weniger. Johanna hatte mehrere Ärzte konsultiert, doch da Alwine eine Amputation strikt ablehnte, war guter Rat teuer. Die Kranke klagte über Schmerzen im Bauch, im Rücken, überall.
Alwines Lider zitterten. Mühsam öffnete sie die Augen. »Wohin willst du denn?«, fragte sie mit dünner Stimme.
Johanna hatte es ihr mehrfach gesagt, doch das Morphium vernebelte Alwines Geist. »Zum Empfang im Ballsaal des Rathauses. In einer Woche wird Singapur nicht mehr von Kalkutta aus verwaltet, sondern als
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