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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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Leahs altes Zimmer umgezogen und nie wieder ins Ehebett zurückgekehrt.
    Sie strengte sich wirklich an. Überschüttete das kleine Mädchen mit Liebe, nähte ihm die schönsten Kleider, ließ ihm alle Freiheiten, allein das Kind blieb ernst, beinahe freudlos. Sicherlich litt es unter der Ablehnung seitens des Vaters. Wie gern hätte Johanna Mercy ihr Herz ausgeschüttet, über Dinah, über ihre kalt und schal gewordene Ehe, doch das war unmöglich. Über derart intime Probleme sprach man nicht.
    Mercy musterte sie mit ungewohntem Ernst. Es war naiv, anzunehmen, sie sei ahnungslos. Eine einzelne Träne rollte Johannas Wange hinab. Mercy beugte sich vor und tupfte sie mit einem behandschuhten Finger fort. Die Freundinnen schwiegen, während der Palanquin am Convent of the Holy Infant Jesus vorbeirollte. Gerade verließ eine Gruppe Mädchen unter Aufsicht einer Nonne das Gelände. Die kleinen Chinesinnen und Mischlingsmädchen waren Waisen oder aber von ihren verzweifelten Müttern in aller Heimlichkeit an einer versteckten Pforte abgelegt worden, die bei den Einwohnern Singapurs das »Tor der Hoffnung« oder einfach nur das »Babytor« genannt wurde. Lange Jahre hatte sich Alwine um diese Kinder gekümmert, doch ihre Hinfälligkeit schob der ehrenamtlichen Tätigkeit einen Riegel vor. Johanna schickte ein Stoßgebet zu Gott. Er musste ihrer Mutter erlauben, wieder zu den Mädchen zurückzukehren.
    Wenig später lenkte der Kutscher in die High Street, und bald darauf fanden sie sich mitten im Durcheinander von Palanquins, Dogcarts und Droschken vor der imposanten Town Hall wieder. Andrew entlohnte die Kutscher und ging mit Mercy voraus. Johanna und Friedrich folgten den beiden. Friedrich verzichtete darauf, Johanna den Arm anzubieten; sie hätte ihn auch nicht genommen.
    Die meisten Gäste waren bereits eingetroffen. Grüße und Gespräche flogen hin und her. An der Stirnseite des prächtigen Saals spielte eine Kapelle tapfer gegen das Rauschen Hunderter Stimmen an.
    Nachdem sie sich einen ersten Überblick über das festliche Getümmel verschafft hatten, zog es Mercy unweigerlich zum Buffet, während sich Johanna zu einer Gruppe ihr seit langem bekannter Kaufleute gesellte. Friedrich hatte sie längst aus den Augen verloren.
    Das Gespräch der Männer kreiste, wie nicht anders zu erwarten, um den neuen Gouverneur, der in den nächsten Wochen seinen Posten antreten würde. Niemand kannte den Mann, der ihnen von der Kolonialverwaltung in London vor die Nase gesetzt wurde, doch Gerüchte gab es reichlich: Ein neuer Besen sei er, einer, der gründlich reinemachen und, wie zu befürchten stünde, wohl als erste Amtshandlung die Hafensteuer und vielleicht sogar eine Einkommenssteuer erneut aufs Tableau bringen wolle.
    »Auch dieser prächtige Gouverneur wird sich an uns die Zähne ausbeißen wie noch jeder zuvor, ob wir nun Kalkutta oder dem Kolonialbüro in London unterstehen.« Beifälliges Nicken unterstrich Thomas Scotts selbstsichere Aussage. Als Partner von
Guthrie & Co.
war er ein Urgestein Singapurs und hatte, mit unterschiedlichem Erfolg, mehr als eine Schlacht gegen Zölle, Steuern und sonstiges bürokratisches Unheil geschlagen.
    Johanna, die den Gesprächen der Händler bisher schweigend gelauscht hatte, fühlte Widerspruch in sich aufsteigen. »Ich glaube kaum, dass uns eine Einkommenssteuer schaden würde«, sagte sie. Augenblicklich drehten sich alle Köpfe zu ihr. Es kam nicht oft vor, dass sich eine Frau zu Wort meldete, wenn die Männer die Probleme des Welthandels diskutierten.
    »Es hat seine Berechtigung, dass Frauen in den Clubs keinen Zutritt haben«, zischte einer der Männer seinem Nachbarn zu.
    Obwohl nicht für ihre Ohren bestimmt, hatte Johanna den abfälligen Kommentar gehört. Sie schoss dem Sprecher, einem kleinen, fetten Mann, den sie nie zuvor gesehen hatte, einen vernichtenden Blick zu. In Situationen wie dieser erinnerte sie sich stets an Leahs Empörung. Sie holte tief Luft. »Von den Hafengebühren könnte man endlich eine anständige Kanalisation bezahlen. Den Fluss säubern. Wasserleitungen verlegen. Polizisten einstellen. Ein zweites Armenhospital bauen. Soll ich fortfahren?«
    Thomas Scott lachte. »Sie haben selbstverständlich recht. Diese Projekte sind dringlicher denn je. Doch glauben Sie mir, Hafengebühren würden die Schiffe fernhalten. Singapur ist einer der größten Umschlagsplätze der Welt, eben weil es die Händler nichts kostet. Sitzt Ihnen, verehrte Mrs von Trebow,

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