Die Insel der Orchideen
sah sich Johanna nach Mercy um, ihrer Retterin aus prekären Situationen.
»Suchen Sie Ihren Mann?«, fragte er in seinem unverkennbaren Bass.
»Natürlich nicht.« Johanna hätte sich ohrfeigen können. Die Bemerkung war ihr einfach herausgerutscht. »Ich vermisse Mercy«, fügte sie eilig hinzu.
»Oh, Mercy Robinson hat ihren ganzen Charme eingesetzt, um unseren scheidenden Gouverneur auf die Tanzfläche zu bugsieren.«
Johanna reckte den Hals, und tatsächlich, dort wirbelte Mercy mit dem etwas steifen Colonel Cavenagh vorbei. »Ich habe ihn nie tanzen sehen.«
»Ich würde jede Wette eingehen, dass Mercy selbst einen Tapir zum Tanz überreden könnte«, bemerkte Bowie trocken, dann bot er Johanna den Arm. »Würden Sie mir ebenfalls die Ehre erweisen?«, fragte er beinahe schüchtern. »Es ist lange her, seit wir zum letzten Mal getanzt haben.«
Seine graugrünen Augen umwölkten sich kurz, doch er hatte sich sofort wieder im Griff und lächelte Johanna gewinnend an. Sie erhob sich und legte ihre Hand auf seinen Unterarm. »Sie haben recht«, sagte sie. »Es ist lange her. Haben Sie das Tanzen inzwischen gelernt?«
»Würden Sie mir glauben, wenn ich bejahte?«
Johanna schüttelte lachend den Kopf. Es tat gut, eine derart leichte Konversation mit Ross Bowie zu führen. Sie schämte sich noch immer beim Gedanken an den Tag, an dem sie die Verlobung gelöst hatte, und freute sich deshalb umso mehr, dass Bowie ihr gegenüber in letzter Zeit aufgeräumt und vergnügt wirkte.
Die Kapelle spielte eine Polka, dann folgte ein langsamer Walzer. Bowie tanzte tatsächlich besser als vor zehn Jahren, und Johanna gab sich seiner Führung hin. Für einen kurzen Moment fühlte sie sich in seiner Umarmung ungemein geborgen, rief sich jedoch sofort zur Raison. So etwas durfte sie nicht einmal denken.
Bowie spürte ihren Gefühlstumult. Er zog sie ein wenig näher zu sich. »Zusammen wären wir unschlagbar gewesen«, murmelte er.
»Hören Sie auf.«
Sein Griff verstärkte sich. »Ihr Mann ist ein Nichtsnutz. Niemand weiß, warum es
Von Trebow Trading
überhaupt noch gibt, so wenig, wie er sich darum kümmert. Ist er überhaupt jemals im Kontor?«
»Das geht Sie nichts an.«
»Es ist Farnell, nicht wahr? Er führt die Geschäfte Ihres Mannes. Vielleicht auch noch mehr?«
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte sie scharf.
»Nun, man hört allerlei über Sie und Farnell.«
Johanna verpasste vor lauter Empörung den Takt. »Führen Sie mich von der Tanzfläche!«
Bowie gehorchte und dirigierte sie in eine leere Fensternische. Wütend entriss Johanna ihm den Arm. »Was zum Teufel haben Sie über Farnell und mich gehört?«
»Ich habe Sie noch nie fluchen hören«, sagte er leichthin. »Warum regen Sie sich wegen dummer Gerüchte so auf? Oder ist etwas daran?«
»Natürlich nicht! Farnell und ich …« Sie stockte. »Wir sind befreundet. Nicht mehr und nicht weniger.«
Bowie wollte etwas erwidern, als nicht weit von ihnen ein lautstarker Disput ausbrach. Die Musik verstummte, alle Aufmerksamkeit wandte sich den Streithähnen zu. Johanna schlug entsetzt die Hand vor den Mund, als sie Friedrich entdeckte. Mit rotem Gesicht brüllte er den ehrenwerten Mr Phillips an. Er war offensichtlich schwer betrunken und hatte damit das Missfallen des Präsidenten der Total Abstinence Society erregt.
Sie bahnte sich einen Weg durch den dichter werdenden Ring der Schaulustigen. Bowie folgte ihr auf dem Fuß. »Johanna, Sie haben damals weiß Gott keine gute Entscheidung getroffen«, raunte er ihr zu, bevor er zwischen die beiden Männer trat, Friedrich packte und ihn vor sich her in Richtung des Ausgangs stieß. Johanna hatte Schwierigkeiten, Schritt zu halten. Vor der Tür presste Bowie Friedrich gegen einen der Pfeiler im Eingangsbereich und brachte sein Gesicht so dicht an das des anderen, dass sich ihre Nasen beinahe berührten. Johanna konnte nicht hören, was Bowie ihrem Gatten sagte, doch Friedrich schrumpfte regelrecht zusammen. Wie ein geprügelter Hund stolperte er schließlich davon. Johanna wollte ihm nacheilen, als Mercy ihr den Weg vertrat.
»Bleib«, sagte sie mit wutbebender Stimme. »Soll er doch seinen Rausch in irgendeinem dunklen Winkel ausschlafen.«
»Aber er ist mein Mann! Ich muss zu ihm.«
»Du musst gar nichts. Er behandelt dich schlecht, nun lass es ihn allein ausbaden.«
»Allerdings.« Bowies Bass ließ Johanna herumfahren.
»Warum sind Sie ihn so hart angegangen?«
»Weil er es nicht anders
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