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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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seinen Hut auf die Ablage und setzte sich Friedrich gegenüber. Erst jetzt fielen ihm die Kratzer an dessen Wange auf, und auch sonst wirkte Friedrich noch fahriger und derangierter als sonst. Er hatte noch keinen Ton von sich gegeben, krallte sich stattdessen in die Stuhllehnen, als wären sie der letzte Halt in einer Welt, die ihm schon lange entglitten war.
    »Was führt dich her?« Die Worte hatten kaum Henrys Mund verlassen, als er es auch schon wusste. Angst. Aus Friedrich schwitzte die pure, ungefilterte Angst. »Was ist geschehen?«
    »Henry, bitte!« Es klang wie das Heulen eines Hundes. »Du darfst mich nicht verurteilen. Ich habe …« – Friedrich zögerte, seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern – »ich habe jemanden totgeschlagen.«
    * * *
    Mit gerunzelter Stirn betrachtete Johanna ihr Werk, bevor sie den feinen Pinsel erneut in die Farbe tunkte und der Puppe ein Lachen ins Gesicht malte. Lim schaute ihr über die Schulter und nickte zustimmend.
    »So ist sie richtig«, sagte er. »Weihnachten kann kommen.«
    Johanna legte den Holzkopf neben den bereits fertiggestellten Körper. Lim hatte sich beim Schnitzen der Gelenkpuppe selbst übertroffen. Seit er vor langer Zeit von Johanna den Auftrag erhalten hatte, ihr beim Fertigen eines Steckenpferds für Hermann zur Hand zu gehen, war es ihr und ihrem Diener zur lieben Tradition geworden, die Weihnachtsgeschenke für die Kinder selbst zu machen. In fröhlicher Gemeinschaftsarbeit hatten sie über die Jahre hinweg einen ganzen Tierpark geschnitzt und bemalt, eine von Hermann heiß und innig geliebte Miniatur-Dschunke samt Besatzung hergestellt und sich schon vor Monaten ihrem neuesten Projekt, einer Puppenstube für Dinah, verschrieben.
    Johanna streckte sich. »Zum Glück sind es noch zwei Wochen bis zum Fest«, sagte sie und erhob sich. »Ich muss noch Kleider für unsere Holzdame nähen.« Sie verließ den Schuppen, der auf ihre Anregung hin hinter dem Küchenhaus errichtet worden war, und ging hinüber zum Haupthaus. Sobald die Kinder ihrer ansichtig wurden, ließen sie von ihrem Spiel ab und tobten mit verschwitzten Gesichtern und verstrubbelten Haaren auf sie zu.
    »Tante Johanna, weißt du was?«, brüllte Carl. Vor lauter Aufregung stolperte er über sein Spielzeugschwert.
    Johanna fing ihn auf. »Nein, du musst es mir schon sagen.«
    »Hermann, also Hermann, der hat gesagt, die Lily …« Carl japste und holte tief Luft. »Er will nämlich Lily heiraten. Aber das geht doch nicht. Sie ist eine Chinesin und muss einen Chinesen heiraten, oder?«
    Johanna sah zu ihrem achtjährigen Sohn hinüber. Verlegen grinsend stand er neben der verärgerten Lily. Johanna lachte nervös auf. »Da hast du recht. Lily wird später einen feinen Chinesen heiraten. Sie sieht ohnehin nicht so aus, als wäre sie mit Hermanns Plänen einverstanden.«
    »Bin ich auch nicht. Ich heirate nie!«
    »Frauen brauchen einen Mann.« Der Einwand, im Brustton der Überzeugung vorgetragen, kam von Roy. Erstaunt bemerkte Johanna, wie er seinen Arm in Beschützermanier um die Schultern der kleinen Dinah gelegt hatte. Noch erstaunter war sie über die Tatsache, dass ihre Tochter, die sonst ungern Nähe zuließ, sich nicht dagegen wehrte.
    »Na«, sagte Johanna leichthin. »Du hast dir deine Braut ja schon ausgesucht.«
    »Jawohl.«
    »Also, ich finde, das ist eine ganz wunderbare Idee.«
    Johanna fuhr herum. Mercy war unbemerkt in den Garten getreten, um ihre Söhne einzusammeln. Sie bedachte Johanna mit einem nachdenklichen Blick, der dieser eine Gänsehaut verschaffte. Hatte sie alles mitgehört? Ahnte sie etwas über Lilys Herkunft?
    * * *
    Sobald Henry alles Wichtige aus Friedrich herausgeschüttelt hatte, verfrachtete er ihn in seine Kutsche und wies Vamalaan an, ihn in die Scotts Road zu bringen; er würde so schnell wie möglich nachkommen. Dann hastete er davon, tief ins Herz des chinesischen Viertels, und erreichte bald eine unratübersäte Gasse, in der jeder Ladeneingang zu einer Opiumhöhle, einem illegalen Spielsalon oder einem Bordell führte. Verlebte asiatische Huren bedrängten ihn, ließen jedoch von ihm ab, sobald sie seine finstere Miene sahen. Bereitwillig wiesen sie ihm das richtige Haus, und wenig später stand er einer vor Empörung bebenden chinesischen Mamasan gegenüber. Das ganze Etablissement war in Aufruhr.
    »Ist sie wirklich tot?«, keuchte er. Einen Teil des Weges hatte er rennend zurückgelegt.
    Die Mamasan verstand sofort. »Nein«, sagte

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