Die Insel der Orchideen
sie langsam. »Aber er hat sie übel zugerichtet.«
Henrys Erleichterung war grenzenlos. Friedrich zufolge hatte er das Mädchen so lange geprügelt, bis es sich nicht mehr rührte, dann war er panisch aus dem Haus geflüchtet. Das gierige Glitzern in den Augen der Bordellbesitzerin bestätigte ihm, dass er sich ihr Schweigen auch hätte erkaufen können, wäre das Mädchen gestorben. Ob er es gewollt hätte, stand auf einem anderen Blatt. Niemand, auch ein Freund nicht, durfte ungestraft einen Mord verüben.
»Wie viel?«, fragte er.
Die Mamasan nannte eine unverschämt hohe Summe. »Wir mussten einen Arzt holen«, zählte sie auf, »das Schweigen der Mädchen kostet ebenfalls und nicht zuletzt das dieser Herren.« Mit einem maliziösen Lächeln wies sie über Henrys Schulter, wo zwei einschüchternd große Chinesen Aufstellung genommen hatten. Hoey-Schläger.
Achselzuckend wandte er sich wieder der Mamasan zu. »Natürlich wird auch der Patriarch bekommen, was ihm zusteht, allerdings würde ich das gern direkt mit ihm oder einem seiner Vertrauten regeln.« Er fischte eine Karte aus seiner Börse und übergab sie der Frau. »Ich stehe ihm jederzeit zur Verfügung. Im Übrigen verlasse ich mich darauf, dass Sie dem Mädchen bestmögliche Pflege angedeihen lassen.«
Statt einer Antwort streckte sie ihm die Hand entgegen. Er zählte das verlangte Geld hinein und legte noch einiges dazu. Die Mamasan deutete eine Verbeugung an. »Beehren Sie uns bald wieder. Das betreffende Mädchen wird Ihnen gern zu Diensten sein.«
Henry musste sich zurückhalten, der Mamasan nicht ins Gesicht zu schlagen. Die Frau widerte ihn an.
»Ich werde mich davon überzeugen«, sagte er kalt.
Die beiden Schläger eskortierten ihn aus der Gasse, ohne eine Miene zu verziehen. Die Entgegenkommenden wichen ihnen aus, die Augen zu Boden geschlagen, und selbst die Huren wandten sich ab.
Zu Hause angekommen eilte Henry sofort in sein Rauchzimmer, wo Friedrich auf ihn wartete. Er setzte sich in einen der bequemen Sessel, die in lockerer Gruppe vor einem wohlbestückten Bücherregal standen.
»Du hast Glück«, sagte er. »Das Mädchen lebt.« In knappen Worten setzte er Friedrich von den Vorkommnissen im Bordell in Kenntnis.
Friedrich sah nicht auf, stierte nur in sein Saftglas. »Ich werde dir das Geld zurückzahlen«, sagte er, als Henry geendet hatte.
»Ach ja?« Henry spürte Ärger in sich aufsteigen. Jahrelang hatte er den Fehler gemacht, Friedrich mit Samthandschuhen anzufassen, wo ein kräftiger Tritt in den Allerwertesten angebrachter gewesen wäre. »Und woher willst du es nehmen?«
»Du müsstest mir noch etwas mehr vorschießen«, murmelte Friedrich. »Mir ist eine Beteiligung an einer Lieferung Sandelholz aus Timor angeboten worden. Völlig risikolos.«
»Es gibt immer Risiken. Stürme, Piraten, Schimmel. Ich werde die Sache prüfen. Das Geld bekommst du nicht, aber die Transaktion kann gegebenenfalls unter deinem Namen erfolgen.«
»Traust du mir nicht zu, einen guten Handel zu erkennen?«
»Ganz ehrlich? Ich traue es dir tatsächlich nicht mehr zu. Komm endlich deinen Pflichten nach, kümmere dich richtig ums Geschäft, lerne. Ich stehe dir jederzeit mit meinem Rat zur Seite.«
»Du stehst mir zur Seite? Ha! Du meinst wohl eher, du kontrollierst mich. Ich komme mir manchmal vor wie ein Lehrjunge.«
Henry zählte im Stillen bis zehn. War Friedrich der Ernst seiner Lage nicht bewusst? In der europäischen Gemeinde war man durchaus bereit, angesichts der Fehltritte der Männer ein Auge zuzudrücken, solange sie sich diskret verhielten, doch alles hatte seine Grenzen. Sollte die Kaufmannschaft jemals Kenntnis von den Vorgängen des heutigen Abends erhalten, war Friedrich – und mit ihm sein Handelshaus, seine Existenz, seine Familie, Johanna – erledigt.
»Wenn du es Kontrolle nennen willst, bitte«, sagte Henry mit erzwungener Ruhe. »Ich erwarte keinen Dank, aber du solltest realisieren, dass ich dir seit Jahren immer wieder aus der Bredouille helfe. Ohne meine finanziellen Hilfen wärst du längst bankrott. Ja, ich kontrolliere, was du machst. Immerhin stecke ich mit achtzig Prozent im Geschäft.«
»Danke, dass du es mir unter die Nase reibst. Du hast mich damals erpresst. Sicher stünde ich ohne deine ständigen Vetos besser da.« Friedrich rieb sich die rotentzündeten Augen.
Er hat jeglichen Bezug zur Realität verloren, dachte Henry. Friedrich verdreht die Tatsachen, wie es ihm passt.
»Du bist mit der
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