Die Insel der Orchideen
Hochzeit wähnte er sich im siebten Himmel.
Dass sich Amelia ihm in der Hochzeitsnacht nur zögernd und ohne Feuer hingegeben hatte, schob er auf ihre gute Erziehung. Die ersten Zweifel kamen ihm auf der langen Schiffsreise. Sie langweilte sich bald und begann über die Mitreisenden zu spotten, nörgelte über das Essen und litt unter dem zunehmend heißeren Klima. Seine Hoffnung, sie möge sich nach der Ankunft mit Johanna und Mercy anfreunden, zersprang schon am ersten Tag. Erst nach Wilsons Geburt wurde sie sanfter. Sie arrangierten sich in ihrer immer gefühlloseren Ehe. Wilson wurde zu Amelias Lebensmittelpunkt, und als Oscar kam, riss sie auch seine Erziehung an sich. Henry akzeptierte das Arrangement schweigend. Sie war den Jungen eine fürsorgliche Mutter und schien sich damit abgefunden zu haben, noch viele Jahre in den Tropen zu verbringen, auch wenn sie nie müde wurde, ihn nach dem Zeitpunkt ihrer Rückkehr nach England zu fragen. Das neue Haus, viel zu groß für seinen Geschmack, entsprach ihren Ansprüchen. Sie stellte ein Heer von Dienern ein, kaufte teure Möbel und beschäftigte rund um die Uhr einen Schneider, obwohl sie kaum ausging, da sie den Umgang mit den meisten Singapurern für unter ihrer Würde hielt. Henry zahlte ihre Extravaganzen, ohne mit der Wimper zu zucken. Er war mittlerweile reich. Sehr reich.
Dann starb Wilson. Über Wochen führte sich Amelia auf wie eine Rasende, gab Henry die Schuld an dem Unglück, ließ nicht mit sich reden, ließ sich nicht trösten. Selbst die kleine Milicent strafte sie mit Missachtung, doch wenn Henry es wagte, sich um den Säugling zu bemühen, entriss sie ihm das Mädchen und überschüttete es mit Zärtlichkeit. Amelia hatte sich erst im letzten Monat ein wenig beruhigt und kümmerte sich wieder um Oscar und Milicent. Ihre Forderung, zurück nach England zu gehen, wurde täglich lauter, und längst erschien Henry der Gedanke nicht mehr abwegig. Sie hatte recht, wenn sie sagte, seine Anwesenheit in Singapur sei nicht mehr vonnöten. Er wäre beileibe nicht der erste Besitzer eines Handelshauses, der einen Geschäftsführer einsetzte, um nach Europa zurückzukehren. Und es gab noch einen Grund, zu gehen: Johanna. Er hatte sie seit Wilsons Tod nur zweimal getroffen, doch allein die Tatsache, sie in der Nähe zu wissen, reichte aus, ihm den Weg zurück zu seiner Frau unmöglich zu machen. So wie sie fest zu Friedrich hielt, hatte das Schicksal ihn an Amelia gekettet. Gott verlangte Treue von den Menschen, und Henry gedachte, sich seines Eheversprechens würdig zu erweisen.
Er rieb sich die pochende Stirn. Nichts war ihm jemals schwerer gefallen, doch er musste sich entscheiden. Bald.
»Mister?« Die Stimme des Kapitäns schreckte Henry auf. Er musste darauf achten, seine Geschäfte mit geschärften Sinnen zu tätigen. Schon drei Mal war er in den letzten Wochen übers Ohr gehauen worden. Das durfte nicht mehr passieren, sein guter Ruf stand auf dem Spiel.
»Ich gebe Ihnen die Schildkrötenpanzer zu einem guten Preis«, lockte der Mann.
Die genannte Summe war durchaus fair, trotzdem zwang sich Henry zum Feilschen, weil es in diesem Teil der Welt dazugehörte. Er nahm dem Mann einen guten Teil seiner Waren ab, während er sie in Gedanken bereits verschob. Die Schwalbennester und Haifischflossen konnten in wenigen Tagen ihre Reise nach China antreten, die Schildkrötenpanzer verschiffte er nach England, wo sie zu Kämmen und ähnlichem Tand verarbeitet wurden, und auch die anderen Produkte würden schnell den Weg zu den Häfen finden, in denen sie die höchsten Preise erzielten. Das Leben ging weiter.
Nachdem alles erledigt war, setzte er wieder zum Land über. In seinem Kontor wartete Friedrich auf ihn. Henry erschrak über sein ungesundes Aussehen. Die fahlgelbe Haut und die unruhig flackernden Augen verrieten, dass er die Opiumhöhlen inzwischen häufiger aufsuchte, als ihm guttat. Henry wusste, dass auch andere europäische Männer hin und wieder einem Rausch nicht abgeneigt waren, doch Friedrich hatte längst eine Grenze überschritten. Wie oft hatte er ihm ins Gewissen geredet und war nur auf taube Ohren gestoßen? Unzählige Male. Er hasste es, Zeuge des Niedergangs seines Freundes zu sein.
Seines Freundes? Während er das zusammengesunkene Häufchen Elend musterte, wurde ihm schamvoll bewusst, dass er Friedrich schon lange nicht mehr als Freund betrachtete. Er war ihm zur Last geworden. Eine weitere Last, die er zu tragen hatte.
Henry legte
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