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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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gestehe mir bitte einen regelmäßigen Umgang mit Thomas zu. Ich könnte es nicht ertragen, ohne ihn zu sein.« Noch immer erschien keine Zornesfalte auf seiner Stirn. Eher wirkte Bertrand verblüfft.
    »Hast du wirklich eine so schlechte Meinung von mir?«, sagte er nach einer Pause. »Du hättest nicht fortlaufen dürfen, schon gar nicht mit Thomas, und ja, ich bin dir deswegen böse. Aber dich verstoßen? Ich liebe dich mehr als mein Leben.«
    Er legte beide Hände an ihre Wangen, und endlich erlaubte sich Leah zu weinen. »Ich verdiene dich nicht«, schniefte sie.
    »Das ist Ansichtssache.« Er beugte sich vor und küsste sie. Lange standen sie in inniger Umarmung auf dem Bahnsteig, bemerkten kaum das Pfeifen und Stampfen des ausfahrenden Zugs.
    »Kannst du dich noch ein oder zwei Jahre gedulden?«, fragte er, als sie endlich voneinander abließen.
    »Wie meinst du das?«
    »Wir reisen nach Java, nach Singapur, wohin immer du willst, sobald Thomas ein wenig älter ist. Abgemacht?«
    Leah wischte sich mit dem Kleiderärmel die Tränen von der Wange. »Ich habe gestern eine wunderbare Feststellung gemacht«, sagte sie.
    Er hob fragend die Brauen.
    »Ich liebe dich, Bertrand. Schon lange, aber ich habe es jetzt erst begriffen.«
    * * *
    Es fiel Johanna unendlich schwer, sich nicht umzudrehen, zurückzurennen und sich in Henrys Arme zu werfen. Ihm zu beteuern, dass alles ein Irrtum war, dass sie zusammengehörten, dass er sie nicht allein in Singapur lassen durfte. Allein mit Friedrich, für den sie nur noch Verachtung empfand und an den sie doch gebunden war, nun erst recht.
    Sie zog den Kopf zwischen die Schultern, doch gegen Henrys Blicke, die sich durch ihren Rücken direkt in ihr wundes Herz brannten, gab es keinen Schutzschild. Dabei hatte sie ihn gebeten, er solle gleich nach Hause zurückgehen und mit den Vorbereitungen für die Abreise beginnen, um die qualvolle Zeit, in der sie sich noch in der Nähe, in ein und derselben Stadt, auf ein und demselben Kontinent wussten und doch nicht treffen durften, zu verkürzen. Sie fühlte sich hohl, all ihrer Kraft und Lebensfreude beraubt.
    Amelias Drohung war nur der letzte Impuls gewesen, den Henry für seine Entscheidung brauchte. Schon lange habe er sich mit dem Gedanken an eine Rückkehr nach England getragen, sagte er, und Johanna glaubte ihm. War sie nicht zu demselben Schluss gekommen? Sie hatte ihm angeboten, er solle in Singapur bleiben, während sie mit ihrer Familie die Stadt verließ, aber davon wollte er nichts hören. Es sei Amelias sehnlichster Wunsch, die Tropen zu verlassen, und er wollte ihn ihr erfüllen. Um ihretwillen, der Kinder willen, aber auch für seinen Seelenfrieden. Sie sprachen es nicht aus, doch Johanna wusste, dass er ebenso dachte wie sie: Friedrich und Amelia waren Bürden, die sie sich freiwillig, ja, voller Freude aufgehalst hatten, und nun mussten sie sie bis zum Ende tragen, auch wenn es ihnen das Herz brach.
    Sie hatten dann noch kurz über die banalen, aber nicht minder wichtigen Aspekte seiner Abreise gesprochen. Henry wollte Franklin Cameron, der bisher als Assistent fungierte, als Geschäftsführer bei
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einsetzen. Cameron sollte Johanna die Anteile direkt auszahlen – ohne den Umweg über Friedrichs Taschen. Ob sie sich zutraue, die Familienfinanzen zu verwalten? Johanna hatte genickt. Andrew Robinson würde ihr sicher zur Seite stehen. Sie wolle auch gern Einsicht in die Bücher nehmen, ob Henry Cameron anweisen könne, ihr zumindest die Grundkenntnisse des Geschäfts zu vermitteln?
    Geplänkel, nichts, was sie nicht in Briefen hätten klären können. Irgendwann hatte Johanna es nicht mehr ertragen, war aufgestanden und gegangen. Nun näherte sie sich der nächsten Straßenkreuzung, musste sich an einer der Säulen unter den Arkaden abstützen, während Menschenleiber sie umspülten wie Wasser. Lange stand sie so, dann richtete sie sich wieder auf. Bevor sie in der Sicherheit ihres Zimmers ihren Kummer hinausweinen konnte, gab es noch etwas zu tun, das keinen Aufschub duldete.
     
    Sie fand das Haus des Geschichtenerzählers auf Anhieb. Er saß müßig vor der Werkstatt und kraulte das altersstumpfe Fell seines Äffchens. Johanna war noch nicht ganz heran, als er sie bemerkte und sich erhob. Sie begrüßten sich reserviert.
    »Ich dachte, ich sehe Sie nie wieder«, sagte er. »Wie lange ist es her? Sieben Jahre?«
    »Siebeneinhalb«, sagte Johanna. Sie hatte niemals aufgehört, die Monate zu zählen

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