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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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verwinkelten Gebäudes. Unzählige Kammern, Tierverschlägen ähnlicher als menschlichen Behausungen, gingen von den langen Fluren ab. Johanna versuchte vergeblich, das allgegenwärtige Stöhnen der Männer und das Quieken der Frauen auszublenden. Als Koh Kok ihr den Arm bot, nahm sie ihn dankbar an. Noch ein Gang, dann standen sie im Hinterhof, in dem sich Küche und Abort den Platz streitig machten. Eine Treppe führte ins Krankenzimmer im ersten Stockwerk.
    In dem Moment, als Johanna das zugeschwollene Gesicht der Frau sah, ihre Wunden und Blessuren, ergab alles einen Sinn, offenbarte sich ihr ihre wahre Bestimmung. Mitleid gepaart mit Tatendrang spülte alle Zweifel beiseite.
    Sie kaufte das Mädchen. Ohne mit der Wimper zu zucken, zählte Johanna das Geld in die nimmersatten Hände der Mamasan, während der Geschichtenerzähler, der sich mittlerweile zusammengereimt hatte, was Johanna von Trebow in den
Garten der Frühlingsblumen
trieb, einen Palanquin besorgte. Als die Kranke verladen war und Johanna in die Kutsche steigen wollte, hielt er sie zurück.
    »Wollen Sie das Mädchen wirklich in Ihrem Haus gesundpflegen? Es wird Gerede geben.«
    »Ich werde behaupten, sie sei von meiner Kutsche überfahren worden. Mein Gatte wird im eigenen Interesse den Mund halten.« Spontan ergriff Johanna die Hand des Geschichtenerzählers. »Haben Sie Dank für Ihre Hilfe. Ich werde Sie in Zukunft häufiger benötigen.«
    »Sie sind mir jederzeit willkommen, Mrs von Trebow. Ich werde Sie unterstützen, wo ich kann.« Er zögerte kurz. »Erlauben Sie mir eine letzte Frage: Warum ich? Warum haben Sie ausgerechnet mich um Begleitung gebeten?«
    »Weil niemand sonst mich verstanden hätte.«

20
    April 1869 , 16  Monate später
    M ama, Papa, seht nur! Die Pferde haben Buckel!«
    Leahs Blick folgte Thomas’ ausgestrecktem Arm. Tatsächlich, gerade schwankte eine lange Reihe buckliger Tiere auf den Pier von Port Said.
    »Das sind keine Pferde, Liebling. Man nennt sie Kamele. Auf ihnen kann man durch die Wüste reiten, weil sie nur ganz wenig Wasser zu trinken brauchen.«
    »Aha.« Leah sah ihrem Sohn regelrecht an, wie er diese neue Erkenntnis in seinem kleinen Kopf hin und her bewegte. Seit die
Ajax
den Hafen von Liverpool verlassen hatte, war eine Unmenge neuer Eindrücke auf den Fünfjährigen eingestürmt.
    Eine widerspenstige Locke ringelte sich über seine Stirn. Leah wollte sie zurückstreichen, doch Bertrand kam ihr zuvor. Ihre Hände blieben auf dem Kopf des Sohnes liegen, ihre Blicke trafen sich.
    »Bist du glücklich?«
    Sie nickte. »Ich könnte nicht glücklicher sein: Auf großer Fahrt mit den beiden wichtigsten Menschen meines Lebens.« Ein tiefes Tuten unterbrach sie. »Es geht los!«
    Mit Thomas in der Mitte beugten sich Leah und Bertrand über die Reling. Weit unter ihnen hastete ein letzter der unzähligen Lastenträger, die in den vergangenen Stunden in einem endlosen Strom neue Kohle an Bord geschleppt hatten, über eine Planke auf den Kai zurück. Er hatte kaum festen Boden unter den Füßen, als die Planke auch schon zurückgezogen wurde. Die Gangway für die Passagiere war längst eingeholt, die starke Maschine brachte das Schiff zum Erzittern, dicker Rauch quoll aus dem blauen Schornstein, und endlich wurde ein stetig breiter werdender Streifen Wasser zwischen Kai und Rumpf sichtbar.
    »Es ist schade, dass wir die Pyramiden nicht besuchen konnten!«, rief Bertrand über den Lärm hinweg.
    »Dafür sehen wir gleich ein neues Weltwunder«, gab Leah zurück. »Ich bin so gespannt auf den Kanal!« Obwohl sie Thomas die Pyramiden gern gezeigt hätte, war sie froh, dass durch den erst seit zwei Monaten geöffneten Suezkanal ein Besuch nicht nötig war. Zu sehr fürchtete sie sich vor der Konfrontation mit der Vergangenheit. Es war schon schlimm genug, dass sie gezwungen sein würden, einige Tage in Singapur zu verbringen, bevor von dort ein Dampfer nach Batavia ging.
    Stunde um Stunde glitt das Schiff durch die Wüste. Die meisten der Passagiere waren vor der Hitze, die schon im April auf Ägypten lastete, unter Deck geflüchtet, doch Leah genoss den warmen Wind, die Sonne, einfach alles. Sie hatte es verdient. Tapfer hatte sie sich seit ihrer übereilten Flucht vor fast anderthalb Jahren alle Klagen verboten und sich mit der Situation arrangiert, doch wirklich aufgelebt war sie erst, als Bertrand ihr beim letzten Weihnachtsfest die Fahrkarten für eine Außenkabine nach Singapur überreicht hatte. Natürlich war

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