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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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Unterredung in seinem Kontor ersucht. Johanna war darauf vorbereitet gewesen; natürlich hatte Leah ihn über Lily in Kenntnis gesetzt. Sie hatte mit Vorwürfen gerechnet, vielleicht sogar offenem Hass, als sie sein gediegen ausgestattetes Kontor betrat, aber er reagierte anders.
    Chee Boon Lee empfing sie zwar kühl, doch er blieb sachlich. Ruhig, beinahe emotionslos ließ er sich von Johanna alles berichten. Sie beschönigte nichts, beichtete ihm die unrühmliche Rolle, die ihre Mutter in der ganzen Affäre gespielt hatte, und harrte am Ende ergeben auf seine Entscheidung. Lily war sein Kind, er hatte alles Recht, sie zu sich zu nehmen. Allein der Gedanke sandte Johanna eine Gänsehaut über den Rücken. Chee Boon Lee schwieg lange. Wieder ergriff sie das Wort, bat ihn, es sich gut zu überlegen. Wenn Lily den Status einer illegitimen und somit wertlosen Tochter in seinem Haus einnehmen müsse, könne sie doch genauso gut in der Waterloo Street bleiben.
    Ja, antwortete er, Lily könne bei ihr bleiben. Mrs von Trebow würde sicher verstehen, dass er das Geheimnis ihrer Herkunft im Interesse seiner Familie gewahrt wünsche.
    Johanna lächelte, als sie sich ihrer Erleichterung erinnerte. Finanzielle Unterstützung hatte sie zunächst abgelehnt, was er natürlich nicht zulassen konnte. Die bescheidenen Verhältnisse der Familie von Trebow waren niemandem in der Stadt verborgen geblieben. Am Ende einigten sie sich darauf, dass Chee Boon Lee für die Ausbildung seiner klugen Tochter aufkommen und ihr eine Mitgift nach seinem Ermessen bereitstellen würde.
    Danach hatte Johanna ihren ganzen Mut zusammengenommen und ihn um Geld für den Aufbau einer Krankenstation gebeten. Er hatte sich Bedenkzeit ausbedungen; zwar unterstützte auch Chee Boon Lee bereits diverse gemeinnützige Unternehmungen, doch etwas Derartiges hatte er nie in Betracht gezogen, zumal der bereits verstorbene Tan Tock Seng, Gründer einer überaus wohlhabenden Kaufmannsdynastie, der Stadt schon vor langer Zeit ein Krankenhaus gestiftet hatte. Briefe waren hin und her gegangen, sie trafen sich wohl ein halbes Dutzend Mal, bis Johanna den reichen Kaufmann davon überzeugt hatte, wie sinnvoll eine Klinik nur für Frauen sei, die selten den Weg in das Armenkrankenhaus der Stadt wagten. Gemeinsam suchten sie nach einem passenden Haus und fanden es in Rochor: eine hübsche Villa inmitten eines Gartens voller Blumen, an denen sich die Kranken und Genesenden erfreuen konnten. Es folgten anstrengende Monate. Umbauarbeiten mussten vorgenommen, Ärzte gewonnen, Frauen in der Krankenpflege geschult sowie Instrumente, Möbel, Medikamente und Impfstoffe bestellt werden. Johanna widmete sich mit ganzer Kraft diesen neuen Aufgaben, misstrauisch beäugt von ihren Nachbarn, allesamt Angehörige der betuchten Gesellschaftsschicht von Singapur. Mit Chee Boon Lees Hilfe meisterte sie die Tücken der Buchführung, die weit über die Belange einer einfachen Haushaltsführung hinausgingen, las bis tief in die Nacht die Schriften von Florence Nightingale und bestellte alle Bücher und Abhandlungen über Krankenpflege, Hygiene und Medizin, die sie für wichtig erachtete. Mercy, die zwar die Krankenstation weitestgehend mied – »Ich tauge nicht zum Engel der Armen, Liebste« –, hielt ihr den Rücken frei, indem sie sich verstärkt um die Kinder kümmerte.
    Ahnend, dass einer offiziellen Einladung kaum jemand Folge leisten würde, eröffnete Johanna die Station in aller Stille. Frisch bezogene Betten warteten auf Patientinnen, doch die kamen nur zögerlich, obwohl Johanna mit Koh Kok als Begleiter und Übersetzer weiterhin Krankenbesuche im chinesischen Viertel unternahm und für die kleine Klinik warb. Heute, ein gutes halbes Jahr nachdem sie den Betrieb aufgenommen hatte, war meist die Hälfte der zwanzig Betten im großen Saal belegt. Sie hatten Erfahrungen in der Geburtshilfe gesammelt, einen Raum für die von ansteckenden Krankheiten wie den Blattern heimgesuchten Patientinnen eingerichtet und sogar Erfolge bei operativen Eingriffen zu verzeichnen. Zwei der in Singapur ansässigen europäischen Ärzte hielten regelmäßig Visite und stritten sich ebenso regelmäßig mit ihren chinesischen und indischen Kollegen, deren Heilmethoden ihnen suspekt waren – und umgekehrt. Johanna rechnete es sich als einen ihrer größten Siege an, die Männer, die sich anfangs gegenseitig der Quacksalberei bezichtigt hatten, zu einem einigermaßen friedlichen Miteinander bewegt zu

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