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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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Schiff ganz vielen Leuten das Leben gerettet. Er ist auch tot.« Sie sagte es ohne Bedauern. Wie sollte sie Menschen nachtrauern, die sie nie gekannt hatte?
    »Geht es dir denn gut bei Johanna?«
    »O ja. Ich mochte das Waisenhaus, aber die Nonnen waren oft streng zu uns. Ganz besonders traurig war ich, als Tante Alwine gestorben ist.« Die Kleine biss auf ihre Unterlippe. »Aber dann kam Ma…, ich meine, Tante Johanna. Sie hatte schon zwei Kinder. Hermann ist mein bester Freund. Er geht auf die Jungenschule unten an der Beach Road. Und dann ist da noch Dinah. Sie ist ein bisschen maulfaul und langweilig, aber ich spiele trotzdem mit ihr. Sie ist erst sechs, weißt du?«
    Leah saugte jedes Wort ihrer Tochter in sich auf. Das Mädchen hatte Zutrauen gefasst und plapperte lustig weiter, erzählte von Onkel Koh, von Lim und Ping und dem Ehemann von Johanna, den sie aber kaum sehen würden, weil er oft woanders schlief, und den sie auch nicht Papa nennen würde, weil er ihr ein wenig unheimlich sei. Ein lauter Ruf unterbrach Lilys Redefluss. »Oh«, sagte sie. »Ich muss zurück zum Unterricht. Kommst du uns bald besuchen?«
    Leah schüttelte den Kopf. »Ich reise heute ab. Vielleicht in ein paar Jahren. Lebe wohl, liebe Lily.« Impulsiv zog sie das Mädchen in die Arme. Lily versteifte sich, fühlte sich wohl überrumpelt. »Ich liebe dich«, krächzte Leah.
    »Ich mag dich auch, Tante.«
    Lily löste sich von ihr. Bevor sie weglaufen konnte, nahm Leah einen Jadeanhänger von ihrem Hals, ein Geschenk von Onkel Koh. Er hatte ihr den kleinen grünen Phoenix geschickt, als sie im Haus eingesperrt gewesen war, und sie hatte ihn seither niemals abgenommen. Zärtlich legte sie Lily die Kette um den Hals.
    »Der ist zu kostbar«, sagte Lily verwundert.
    »Für dich ist nichts zu kostbar. Und nun lauf. Deine Lehrerin wartet.« Tatsächlich war eine junge Frau am Tor erschienen und musterte die im Staub kniende Leah misstrauisch. Lily wirbelte davon. Im Hineingehen drehte sie sich noch einmal um.
    »Wie heißt du eigentlich, Tante?«
    »Leah. Ich heiße Leah!« Tränen erstickten ihre Stimme.
    Und dann war Lily fort.
    * * *
    »Beeilen Sie sich!«
    »Mem, es geht nicht weiter. Sie sehen doch, da vorn hat ein Ochsenkarren seine Ladung verloren.«
    Johanna lag eine scharfe Antwort auf der Zunge, aber den Kutscher traf nun wirklich keine Schuld an der Verzögerung. Sie stieg aus, drückte dem Mann eine Münze in die Hand und eilte mit geschürztem Rock davon. Rempelte empörte Lastenträger beiseite, wand sich an der Unfallstelle vorbei und hastete weiter. Sie musste es einfach rechtzeitig schaffen. Warum war sie bloß nicht früher zum
Hotel d’Europe
gefahren? Doch woher hätte sie wissen sollen, dass Leah schon heute die Stadt verließ? In ihrer Hand knüllte sie den Brief zusammen, den die Schwester ihr hinterlassen hatte.
    Der Weg zum Neuen Hafen zog sich endlos. Schweiß lief Johanna in Bächen übers Gesicht. Sie achtete nicht darauf, auch nicht auf die überraschten Ausrufe der Hafenarbeiter. Hastig bog sie um ein letztes Lagerhaus und rannte direkt in eine Gruppe Kulis hinein.
    »Die
Flores
«, keuchte sie auf Malaiisch. »Wo liegt sie?«
    »Hat gerade abgelegt. Dort.« Einer der Männer wies auf einen Dampfer, kaum zwanzig Meter vom Ufer entfernt. Johanna hetzte weiter, den Kai entlang, winkend und rufend, bis sie schließlich an der Kante zum Stehenbleiben gezwungen war. Keuchend hielt sie sich die Seiten, während sie gleichzeitig die Menschen an der Reling des Schiffs zu erkennen suchte. Ein hochgewachsener rothaariger Mann, der einen kleinen Jungen hochhob, erregte ihre Aufmerksamkeit. Jetzt sah er sie und wandte sich an jemanden hinter ihm. Eine zierliche Frau in einem hellen Kleid trat neben ihn und spähte hinunter zum Kai. Leah! Warum rührte sie sich nicht? Hatte sie Johanna nicht gesehen? Johanna winkte immer hektischer. Und dann hob Leah den Arm, winkte ebenfalls, langsam, zögernd.
    Johanna stand noch am Kai, als die
Flores
längst hinter Pulau Blakang Mati verschwunden war. Ein Gewitter zog auf und schob einen Sturmwind vor sich her, der heftig an den hohen Palmen rüttelte und Johanna Leahs Brief aus der Hand riss. Erschrocken wollte sie ihn fassen, doch schon wirbelte die Böe ihn über die Kaikante hinaus. Das Papier vollführte eine kapriziöse Pirouette, noch eine und noch eine, und trudelte dann auf die Wasseroberfläche. Johanna starrte auf den weißen Fleck, bis er versank. Ein winziges Lächeln

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