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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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erschien auf ihrem Gesicht. Sie brauchte das Papier nicht, Leahs Worte standen in ihrem Herzen.
     
    Ich verzeihe dir. Sei Lily eine gute Mutter.
    Lebe wohl, für immer,
    Deine Schwester Leah

21
    April 1870 , ein Jahr später
    J ohanna hörte Pings Schimpfen und Lilys ärgerliche Stimme schon, bevor die beiden mit Dinah den Garten betraten. Sie klappte das Kassenbuch zu, in dem sie gerade die letzten Ausgaben der Krankenstation vermerkt hatte, und ging nach draußen. Der Anblick der Kinder ließ ihren Herzschlag für einen Moment aussetzen. Dinahs zartes Gesicht war vom Weinen regelrecht aufgedunsen, die Nase leuchtete rot. Mit hängenden Schultern stolperte sie neben der wütenden Ping her, die wiederum Lily am Ärmel gepackt hielt.
    Johanna unterdrückte einen Ausruf. Obwohl äußerlich kaum Ähnlichkeit vorhanden war, vermeinte sie, Leahs Ebenbild vor sich zu sehen. Die zerzauste Frisur, ein aufgeschlagenes Knie und ein langer Riss in Lilys Schuluniform ließen darauf schließen, dass sich die Zehnjährige geprügelt hatte. Aus ihrer Miene sprach keinerlei Schuldbewusstsein, sondern nichts als Zorn. Sobald sie Johanna bemerkte, riss sie sich ungeduldig von Ping los.
    »Ich habe nicht angefangen.« Sie stemmte die Arme in die Hüften, um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen. »Die dumme Alice Harrington hat Dinah geärgert, und dann hat Dinah angefangen zu heulen, und da habe ich Alice die Meinung gesagt, und sie hat mich geschubst und ich sie auch und dann …«
    Johanna verbiss sich ein Lachen. »Halt ein«, sagte sie mit gespielter Strenge. »Habe ich dich richtig verstanden: Du hast Alice geschubst?«
    »Alice und Rosie und Pearl. Denen habe ich gezeigt, dass sie Dinah nicht ärgern dürfen.«
    »Das bedeutet noch lange nicht, dass du die anderen Mädchen schubsen und schlagen darfst. Eine feine Dame tut so etwas nicht.«
    »Die anderen sind auch nicht fein.« Lily verzog schmollend das Gesicht.
    »Genug jetzt. Wasch dich. Für den Rest des Tages bleibst du in deinem Zimmer.«
    Lily maß sie mit einem Blick, der Johanna durch Mark und Bein ging. Schweigend marschierte sie an ihr vorbei ins Haus, um die ihrer Meinung nach unverdiente Strafe anzutreten. Gut, dass der Mangobaum vor Leahs ehemaligem Zimmer schon lange nicht mehr steht, dachte Johanna, dann schloss sie Dinah tröstend in die Arme.
     
    Eine halbe Stunde später lief Johanna unruhig im Salon auf und ab. Wie so oft in letzter Zeit litt sie unter Kopfschmerzen, doch sie ignorierte sie. Was Dinah ihr unter Weinen berichtet hatte, beunruhigte sie zutiefst.
    Ihre Tochter, die mittlerweile die zweite Klasse von Sophie Cookes Schule besuchte, hatte sich zu Beginn des ersten Schuljahrs mit der jüngeren Harrington-Tochter angefreundet. In regelmäßigen Abständen hatte die kleine Georgia in Begleitung ihrer Amah das Haus in der Waterloo Street besucht, und die Gegeneinladung für Dinah ließ nie lange auf sich warten – bis vor etwa einem halben Jahr. Es war Johanna wohl aufgefallen, dass Dinah kaum noch von ihrer Freundin sprach, doch sie tat es als typische Kinderlaune ab. Verwunderlich war höchstens, dass in Dinahs kleiner Welt keine neue Freundin Georgias Platz eingenommen hatte. Wie sich nun herausstellte, hatte kein kindlicher Zank über ein Spielzeug die beiden Mädchen entzweit, sondern Mrs Harrington höchstpersönlich.
    Wütend hieb Johanna auf eine Stuhllehne. Sie kannte Victoria Harrington, eine oberflächliche und nicht sonderlich gebildete Frau, die sich, wie so viele Ehefrauen in den Kolonien, in England einen Kaufmannsassistenten auf Brautschau geangelt hatte. Victoria Harrington hatte es gut getroffen; ihr Gatte gründete bald nach der Geburt der ersten Tochter mit Freunden eine Handelsniederlassung. Das Geschäft florierte, doch leider war Mrs Harrington der ungewohnte Wohlstand zu Kopf gestiegen. In ihrer Dünkelhaftigkeit nahm sie es mit jeder Dame von Adel auf. Oder mit Amelia, dachte Johanna grimmig, schob den unwillkommenen Gedanken aber beiseite.
    Offenbar war Victoria Harrington und ihren Freundinnen Johannas Krankenstation ein Dorn im Auge. Es passte ihnen nicht, dass sich Johanna insbesondere um arme und gefallene Frauen kümmerte. Ein solches Haus wollten sie nicht in ihrer Nähe wissen. Johanna massierte ihre schmerzende Stirn. Sie wurde das Gefühl nicht los, alles und jeder hätte sich gegen sie verschworen.
    Dabei hatte alles so gut begonnen.
    Schon am Tag nach Leahs Abreise hatte Chee Boon Lee Johanna um eine

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