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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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ihr heraus: »Ich liebe dich, Henry. Ich liebe dich so sehr, dass es schmerzt. Hätte ich es doch schon damals auf der Überfahrt gemerkt, hätte ich bloß begriffen, dass du mein Glück warst, nicht Friedrich.« Sie weinte hemmungslos, warf sich an Henrys Brust, beweinte all die vergeudeten Jahre. Henry hielt sie so fest, dass sie sich kaum bewegen konnte. Sie fühlte sich beschützt. Zum ersten Mal, seit der Vater zu seiner verfluchten Chinareise aufgebrochen war, brauchte sie nicht stark zu sein.
    »Du darfst nicht bitter sein«, sagte er, als sie sich wieder beruhigte. »Lass dir die schönen Erinnerungen an Friedrich nicht vergällen. Er ist Hermanns und Dinahs Vater, vergiss das nie.«
    »Natürlich nicht. Trotzdem fühle ich mich um ein glückliches Leben betrogen. Ein Leben an deiner Seite.«
    Er hob ihr Kinn an. »Wer weiß, vielleicht hätten wir uns auseinandergelebt? Würden uns längst hassen?«
    »Das glaubst du doch selbst nicht.«
    »Nein, das glaube ich nicht.« Seine dunklen Augen überschatteten sich und dann, mit einem Vierteljahrhundert Verspätung, lagen seine Lippen auf ihren, sanft und fordernd zugleich. Sie gab sich seinem Kuss hin, erwiderte ihn. Schnell verlor sie ihre Zurückhaltung, ihre Hände schoben sich unter sein Hemd und ertasteten seine Haut, so wie seine ihren Körper in Besitz nahmen, zögernd erst, dann immer forscher.
    Viel später, die Kokospalmen warfen bereits lange Schatten, lagen sie auf der Decke und fütterten sich gegenseitig mit den zerdrückten Reispäckchen. Schuldgefühle umschlichen sie wie sprungbereite Tiger, doch es gelang ihnen, sie in Schach zu halten. Später würden die Bestien sie im Nacken packen und schütteln, aber noch nicht jetzt. Diese gestohlenen Stunden gehörten ihnen allein.
     
    »Wie soll es weitergehen?« Johanna starrte stur nach vorn. Sie erreichten den Sim Lim Square und bogen in die Bencoolen Street ein. Vor der Bengkali Moschee versammelten sich gläubige Malaien und Inder zum Abendgebet. Bis zur Waterloo Street blieben ihnen nur wenige Minuten.
    »Wir könnten so tun, als sei nichts geschehen. Weitermachen wie bisher.«
    Johanna biss die Zähne aufeinander. »Das wäre wohl das Beste.«
    »Ja.«
    Enttäuscht wandte sie sich zu ihm um. »Ja? Einfach nur ja? Mehr hast du nicht zu sagen?«
    Er ließ die Zügel locker, das müde Pferd fiel in gemächlichen Schritt. »Ich muss nachdenken. Hast du mir nicht immer gepredigt, ich müsse auf Amelia und Oscar Rücksicht nehmen?«
    »Ja, das habe ich wohl«, murmelte Johanna. Ihre Gedanken kreisten um eine Möglichkeit, das Schicksal doch noch zu ändern. Bevor sie sich eines Besseren besann, hatte sie es schon ausgesprochen: »Du könntest dich scheiden lassen.« Die Worte hinterließen einen schalen Geschmack auf ihrer Zunge. Dazu müsste Henry den Ehebruch vor dem Richter offenlegen. Gesellschaftliche Ächtung wäre unvermeidlich, und Amelia konnte sich als Opfer präsentieren. Würde ihre Liebe diese Situation überstehen? Und was noch viel schwerer wog: Hieß es nicht, was Gott verbindet, solle der Mensch nicht trennen? Johanna wurde die Brust eng. Sie hatte zugelassen, dass Henry zum Ehebrecher wurde, eine unverzeihliche Schuld. Sie war nicht besser als die Huren, die sie in ihrer Frauenklinik pflegte.
    Henry zügelte das Pferd. Willig blieb es in der Dunkelheit zwischen zwei Gaslaternen stehen. »Eine Scheidung? Du weißt, dass wir dann erledigt sind. Ich glaube kaum, dass du in Singapur bleiben könntest, wenn die Damen der Gesellschaft die Straßenseite wechseln, sobald sie deiner ansichtig werden.« Er griff nach ihren Händen und drückte sie. »Außerdem wird Amelia niemals die Scheidung einreichen, und ich kann es nicht, denn ich habe ihr nichts vorzuwerfen. Fürs Erste werden wir uns heimlich treffen müssen.«
    »Nein.« Einige Spaziergänger näherten sich. Johanna entzog Henry hastig ihre Hände. »Ich bereue diesen Nachmittag nicht. Sollte unserer Liebe nur dieser einzige Tag vergönnt sein, sei es so. Die Erinnerung wird mir bis zum Lebensende der wertvollste Schatz sein. Aber ich will nicht noch mehr Schuld auf uns laden, indem ich deine Geliebte werde.«
    Er seufzte. »Ich habe befürchtet, dass du so reagierst. Es befürchtet und gehofft zugleich. Du bist der anständigste Mensch, den ich kenne, Liebste.«
    »So anständig auch wieder nicht.«
    »Zum Glück. Dieser Nachmittag war alle künftigen Feuer der Hölle wert.« Er richtete sich auf und schnalzte. Das Pferd zog

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