Die Insel der Orchideen
haben. Seien Sie sich meines Mitleids versichert.« Er räusperte sich. »Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann …« Er brach ab.
Johanna senkte den Kopf. Ross Bowie zeigte weitaus mehr Einfühlungsvermögen, als sie ihm zugetraut hatte. »Das ist sehr freundlich von Ihnen. Aber ich erwarte täglich die Rückkehr meines Verlobten aus Hongkong. Er hat sich vor drei Wochen auf der
Albatros
eingeschifft.«
»Ihr Verlobter. Natürlich.« Ein Schatten flog über sein Gesicht. Seine Sportkameraden riefen lauthals nach ihm. »Wünschen Sie Begleitung?«
Johanna schüttelte den Kopf. »Haben Sie vielen Dank für das Angebot«, sagte sie. »Aber ich bin hier, weil ich allein spazieren gehen möchte. Außerdem verlangen Ihre Freunde nach Ihnen.«
Er zögerte.
»Gehen Sie ruhig. Ich komme zurecht.«
Er ließ sich überzeugen. Johanna sah den Männern noch einige Minuten bei ihrem Spiel zu, dann machte sie sich auf den Heimweg.
Mercy hatte es tatsächlich geschafft, Alwine Uhldorff auf die Veranda zu locken. Als Johanna ankam, standen Tee und einige aus Klebreis, Sago und Palmzucker gefertigte malaiische Süßigkeiten schon auf dem Tisch. Johanna machte sich frisch und gesellte sich zu den beiden, nachdem sie zuvor Leah über die Schulter geschaut hatte, die sich am anderen Ende der Veranda niedergelassen hatte und mit äußerster Konzentration die Detailzeichnung einer bizarr geformten Blattheuschrecke anfertigte. Ein wenig neidete Johanna der Schwester ihre Beschäftigung, erlaubte sie ihr doch kleine Fluchten aus der Trauer.
Mercy berichtete gerade von dem pikanten Skandal um eine gewisse Mrs Eggerton, die wegen ihres mutmaßlichen eingeborenen Liebhabers die Kolonie demnächst verlassen würde, als Ross Bowie durch die Gartenpforte schritt, um Alwine Uhldorff, Johanna und Leah zu kondolieren. Johanna war überrascht, als die Mutter ihn zum Tee einlud, doch er lehnte höflich ab; er wolle nicht weiter stören und käme gern ein anderes Mal, wenn die Damen Zeit hätten, sich auf einen Besuch einzurichten.
»Ein netter Mann«, sagte Alwine Uhldorff, nachdem er sich verabschiedet hatte. »Einer, auf den sich eine Frau verlassen kann. Er ist ziemlich reich, nicht wahr?« Sie hatte die Frage an Mercy gerichtet, ließ Johanna jedoch nicht aus den Augen.
* * *
Eine frische Brise verfing sich in den Segeln, und die
Albatros
nahm Fahrt auf. Friedrich warf einen letzten Blick zurück auf Manila und die wehrhaften Mauern des Fort Santiago, dann drehte er die Nase wieder in den Wind. Er konnte es kaum erwarten, das offene Meer zu erreichen, nach Süden zu segeln, um Johanna bald in die Arme zu schließen. Schon vor einer Woche hätten sie in Singapur ankommen müssen, doch die Impertinenz der spanischen Hafenmeister, Probleme mit der Warenverladung und tausend ärgerliche Kleinigkeiten mehr hatten ihre Abreise Tag um Tag verzögert, bis sie endlich, mit zweiwöchiger Verspätung, erneut in See stechen konnten.
Der Bootsmann, ein vierschrötiger Amerikaner namens Collister, trat zu Friedrich an die Reling.
»Sie sehen zufrieden aus«, bemerkte er nuschelnd und spuckte einen Pfriem in weitem Bogen ins Meer.
Friedrich hob die Augenbrauen. Selbstredend war das Leben auf Handelsschiffen rauer als an Bord eines Passagierdampfers, doch das ungehobelte Betragen des Bootsmanns, immerhin ein Mann mit Offiziersrang, grenzte an Unhöflichkeit. Trotzdem verkniff er sich eine scharfe Antwort.
»Ja«, sagte er, »ich bin allerdings sehr froh, den Spaniern den Rücken zu kehren.«
Collister lachte. »Ein seltsames Volk, da haben Sie recht. Mit aller Welt im Streit. Na, sollen Sie. Heda! Habe ich dir nicht gesagt, du sollst die Finger vom Werkzeug lassen?«
Der letzte Satz galt dem Bootsjungen, der erschrocken das Weite suchte, als Collister wutschnaubend auf ihn zueilte. Die nächsten Tage verliefen angenehm, unter strahlendem Himmel machte die
Albatros
gute Fahrt. An Bord herrschte gelöste Stimmung; die Laderäume waren gefüllt, Abnehmer in Singapur sicher. Friedrich verbrachte die Zeit in angeregtem Geplauder mit den Offizieren und einigen Kaufleuten, die ihre Waren begleiteten und mit guten Ratschlägen für seine künftigen Unternehmungen nicht geizten. Niemand maß dem dünnen Wolkenstreifen am Horizont Bedeutung bei, und auch der blutrote Sonnenuntergang am dritten Tag wurde nicht als schlechtes Omen gewertet. Nur wenige Stunden später sollten Passagiere und Mannschaft ihre mangelnde Wachsamkeit bitter bereuen.
Ein
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