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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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Kehle schrien die etwa zwei Dutzend Männer auf dem Schiffswrack ihr Entsetzen hinaus, als das Floß von einer auflaufenden Welle erfasst und auf das scharfkantige Riff geschmettert wurde. Es zersplitterte in tausend Teile. Friedrich entdeckte mehrere leblose Körper auf dem Riff, lediglich fünf Männer kämpften noch gegen das strudelnde Wasser an. Einer der Laskars packte eine Planke und klammerte sich daran. Mit kraftvollen Beinstößen gelang es ihm, dem Sog des Riffs zu entkommen und auf die
Albatros
zuzuhalten. Friedrich fiel in die Anfeuerungsrufe mit ein, schrie sich heiser, einer, wenigstens einer musste überleben! Schon konnte er die Züge des Mannes erkennen, sein grünes Hemd, als ihm mit einem Mal schier das Herz stehenblieb. Direkt hinter dem Laskar tauchte die Dreiecksflosse eines großen Hais auf. Voller Grauen sah Friedrich, wie sich das Wasser rot färbte.
    Sie verharrten zwei Wochen auf dem Schiffswrack, unsicher, was zu tun sei. Die Tragödie um das Floß hatte selbst die größten Draufgänger nachdenklich gestimmt. Niemand wollte als Haifischfutter enden, lieber vertrauten sie darauf, dass die Vorsehung ihnen ein Handelsschiff sandte. Collister, nun der ranghöchste Mann an Bord, hatte einige dilettantische Berechnungen angestellt und vermutete sie irgendwo in der Sulu-Inselgruppe südlich der großen philippinischen Insel Mindanao. Einer Region also, in der mit Schiffsverkehr aller Art zu rechnen war, denn das Sultanat von Sulu betrieb regen Überseehandel.
    Die Piraten fanden sie als Erste. Zwölf Korokoros, die großen, mit Segeln und Rudern versehenen Boote des Balanini-Stammes, rasten über das glatte Wasser der Sulu-See auf sie zu, und ehe sich das verzweifelte Häufchen auf der
Albatros
versah, war das Wrack von beinahe fünfhundert johlenden Eingeborenen umringt. Sofort begannen die braunen Kerle, ihre langschneidigen Kampilan-Schwerter und todbringenden Dolche siegesbewusst schwingend, aufzuentern.
    Friedrich ergab sich in sein Schicksal. Während seine Kameraden nach Bootshaken und Messern griffen, fest entschlossen, einen ehrenvollen Tod im Kampf zu finden, verkroch er sich in einen dunklen Winkel des Laderaums, hoffend, man möge ihn nicht entdecken.
    Seine Hoffnung war vergeblich. Brutal zerrten sie ihn aufs blutverschmierte Deck. Das Letzte, was er sah, bevor sie über ihn herfielen, war das Blitzen einer scharfen Säbelschneide, dann wurde es schwarz um ihn.
    * * *
    Das Gartentor klappte hinter Johanna und der Mutter zu, dann war Leah allein. Sie warf das Laken beiseite, zerrte das Kulikostüm aus seinem Versteck unter dem Bett hervor, entledigte sich ihres Schlafhemds und schlüpfte in die bequemen Sachen. Es war schwierig gewesen, an die Kleidung zu kommen. Nach ihrem ersten heimlichen Ausflug nach Chinatown hatte sie mit dem Gedanken gespielt, Lim ins Vertrauen zu ziehen, doch sie unterließ es. Auf der Suche nach seinen Pantinen, jenen, die sie in Whampoas Garten gelassen hatte, hatte er Zeter und Mordio gerufen, und als er dann noch den Schmutz an seinen frischgewaschenen Hosen entdeckte, bedachte er Leah mit misstrauischen Blicken. Sie ahnte, dass er ihre Ausflugspläne nicht gutheißen würde.
    Also hatte sie John Littles Botenjungen bestochen, einen flinken, schlauen Chinesen, der ihr prompt das Gewünschte ins Haus schmuggelte. Seitdem wartete sie fieberhaft auf eine Gelegenheit, sich erneut ins chinesische Viertel zu stehlen. Heute endlich war es so weit: Johanna und die Mutter besuchten den neugegründeten Bibelkreis und würden sicher drei Stunden fortbleiben. Lim hatte die Weisung erhalten, Leah nicht zu stören, da sie sich müde und erschöpft fühle und die nicht näher bezeichnete Krankheit durch Schlaf auszukurieren hoffe.
    Mit den eigenen Pantinen in der Hand schlich sie leise die Treppe hinunter und durch den Garten. Bevor sie auf die Straße trat, zog sie den Hut ins Gesicht.
    Nach dem überwältigenden Trubel zum chinesischen Neujahrsfest hatte Leah einen weiteren Besuch des Viertels ebenso herbeigesehnt wie gefürchtet, doch diesmal herrschte vergleichsweise Ruhe: Die Menschen gingen gelassen ihren Geschäften nach, keine Löwentänzer verstellten ihr den Weg, kein Feuerwerk krachte, und kein hübscher junger Chinese bohrte seine Augen in ihren Kopf. Die Anspannung, die sich ihrer beim Eintauchen in diese fremde Welt bemächtigt hatte, legte sich schnell. Niemand beachtete sie, und solange sie sich unauffällig verhielt und das Gesicht unter dem

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