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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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fürchterlicher Schlag gegen das Schiff weckte Friedrich kurz vor Mitternacht. Benommen setzte er sich auf. Das Schiff schwankte, wie er es noch nie erlebt hatte, eine riesige Hand schien es gepackt zu halten, schüttelte es, kippte es von einer Seite zur anderen. Ein Toben und Brausen gellte in seinen Ohren, kaum waren die schrillen Schreie der Matrosen in dem Getöse auszumachen. Unfähig, sich zu rühren, verharrte Friedrich in seiner Koje und vergrub wimmernd das Gesicht in den Händen. Er wollte nicht sterben! Jetzt hob sich das Schiff steil in die Höhe, nur um im nächsten Moment ins Bodenlose zu fallen. Friedrich schrie aus Leibeskräften, klammerte sich an einen Pfosten, einen Haken, vergeblich. Als das Schiff im Wellental landete, schleuderte ihn die Gewalt des Aufpralls aus der Koje auf den Boden. Mühsam zog er sich hoch. Raus hier! Nur raus aus dieser winzigen Kajüte, deren Wände ihm nun vorkamen wie die eines Sarges.
    Er machte gar nicht erst den Versuch, ein Licht zu entzünden, tastete blind nach seiner Kleidung und zog sich hastig an. Immer wieder schleuderten ihn die tobenden Urgewalten von einer Wand gegen die andere, doch endlich schaffte er es und trat aus der Kabine. Auf allen vieren kletterte er die steile Stiege hinauf. Er war kaum oben, als ihn das Grausen packte. Eine turmhohe Welle raste auf das Schiff zu und brach übers Deck. Das Wasser erfasste einen der chinesischen Matrosen und zog ihn mit sich in den gierigen Schlund der See.
    Wie ein Geist der Dunkelheit tauchte plötzlich der Kapitän neben ihm auf. Der Sturm fegte die Worte von seinen Lippen, bevor sie Friedrich erreichten. Als der Mann ihn bei den Schultern packte und in Richtung des Treppenabgangs zerrte, wehrte sich Friedrich trotz des schwankenden Bodens und der drohenden Gefahr verbissen. Um nichts in der Welt wollte er zurück in den Sarg. Ein gewaltiger Blitz zuckte durch die Wolken und schlug in den Fockmast. Friedrich und der Kapitän erstarrten. Holz zersplitterte, als der Mast auf die Planken krachte. Der nächste Brecher rollte heran, noch riesiger als der erste, Männer rannten um ihr Leben. Ehe Friedrich sichs versah, schubste der Kapitän ihn die Stiege hinab, gerade rechtzeitig, bevor er selbst von den Füßen gerissen wurde. Einen Wimpernschlag später ergoss sich das Wasser mit zerstörerischer Wut ins Innere des Schiffs, spülte Friedrich mit sich fort, er schluckte, rang nach Atem, dann ließ die Wucht endlich nach.
    Die nächsten Tage verschmolzen zu einer endlosen, immerwährenden Nacht. Der Sturm schob die manövrierunfähige
Albatros
vor sich her, als wäre sie das Spielzeug eines grausamen Gottes. Die erste, die schrecklichste Nacht hatte zwei europäische und zwei chinesische Matrosen sowie drei indische Laskars das Leben gekostet, und der Kapitän nahm dankbar das Hilfsangebot von zwei jungen Kaufleuten an. Zögernd schloss Friedrich sich den anderen an und riskierte nun Seite an Seite mit den Seeleuten sein Leben im Bemühen, das Schiff leerzupumpen und im heftigen Seegang den Mast zu zerlegen, der drohte, das Schiff weiter zu zerstören. Salzwasser verätzte die offenen Wunden in Friedrichs Handflächen. Mehr als einmal war er kurz davor, aufzugeben, doch fast mehr als den Tod fürchtete er die Verachtung im Blick der Seemänner und der anderen Kaufleute, sollten sie seine Angst erkennen. Und so schuftete er gegen seine Erschöpfung an, fand Hoffnung in jedem Atemschöpfen des Sturms, um bei jedem neuen Aufheulen umso tiefer in die Verzweiflung zu stürzen.
    Wieder sprang der Wind sie an. Riss an der zerfetzten Leinwand und trieb sie mit seinem Heulen an den Rand des Wahnsinns. Das Schiff buckelte und warf sich hin und her wie ein rasender Stier. Der neben ihm stehende Matrose packte Friedrich am Arm, wies nach vorn, brüllte. Dort, zwischen den Gischtfetzen kaum zu erkennen, erhob sich ein kegelförmiger dunkler Fleck.
    »Ein Berg! Land!« Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Gerettet, sie waren gerettet! Alle rannten zur Steuerbordseite. Mit atemberaubender Geschwindigkeit rasten sie dem dunklen Fleck entgegen.
    Ein grauenerregendes Knirschen füllte die Luft. Das Jubeln erstarb Friedrich in der Kehle, in seinem Leib klumpte sich ein harter Ball zusammen und nahm ihm die Luft. Noch immer peitschte der Wind, doch sie bewegten sich nicht mehr vom Fleck. Das Schiff neigte sich zur Seite, der Mann, der das Land zuerst entdeckt hatte, stürzte, schlitterte auf das todbringende Wasser zu.

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