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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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Essen verlief unter angeregten Gesprächen, an denen sich jedoch weder Leah noch Wallace beteiligten. Als Hauptgang wurde vorzüglicher Rostbraten vom einheimischen Wildschwein serviert – auf einem Teller, der Johanna wegen seines Dekors und vor allem eines verräterischen Sprungs bekannt vorkam. Als sie Lim leise darauf hinwies, grinste er und flüsterte, man würde sich eben gegenseitig das Geschirr leihen. Ärgerlich wollte sie ihn anfahren, doch sie bekam sich rechtzeitig in den Griff, und kurz darauf fand sie die Angelegenheit sogar amüsant. Es war gut, dass sich die Haushalte untereinander aushalfen. Sie wäre nur gern gefragt worden.
    Die chinesischen Diener räumten gerade die Tische ab, als sich ein großer Käfer in den Saal verirrte und mit lautstarkem Brummen direkt auf die Argand-Lampe über ihrem Tisch zuhielt. Er umkreiste die Lampe mehrmals, flog dann einen Angriff und stürzte in die Sauciere. Nach einer Schrecksekunde griffen Leah und Wallace gleichzeitig zu der Sauciere, die prompt umkippte und ihren Inhalt samt Käfer über die Tischdecke ergoss. Diesmal war Leah einen Wimpernschlag schneller als ihr Nachbar und fischte das Insekt aus der Sauce. Unter dem Gelächter der Anwesenden setzte sie es auf ihren Handteller. Der Käfer hatte das heiße Bad offenbar unbeschadet überstanden, allerdings blieben seine Anstrengungen, die Flügel zu öffnen und sein Heil in der Flucht zu suchen, vergeblich.
    »Er muss erst trocknen«, sagte Leah und stupste gegen seine harte Flügeldecke. Sofort klammerte sich der Käfer an ihren Finger, dessen Länge er fast erreichte. Sie hielt ihn Mercy hin, doch die blieb gelassen.
    »Diesmal erschreckst du mich nicht.«
    Der maulfaule Mr Wallace räusperte sich. »Darf ich einen Blick auf Ihre Beute werfen?«
    »Aber bitte.« Leah drehte sich zu ihm um und hielt dem Bärtigen den Käfer unter die Nase. Johanna schnaufte. Auf das Talent ihrer Schwester, sich unpassend zu benehmen, war wie immer Verlass.
    »Wir haben Glück: ein seltener Cetoniidæ«, sagte Leah herausfordernd. »Allerdings viel größer als die bei Linné beschriebenen Arten. Ich nehme an, das hängt mit der Wärme zusammen. In den Tropen finden sich viele Insekten und Pflanzen, die auch in Europa vorkommen, doch hier wird alles riesig.«
    Wallace, der Leahs Hand ergriffen hatte, um den schillernden Rosenkäfer genauer betrachten zu können, ließ sie verblüfft los. Johanna musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut herauszuplatzen.
    »Sie benutzten die ›Systema Naturæ‹?«
    Leah zuckte die Achseln. »Natürlich. Wobei ich allerdings im Gegensatz zu Linné nicht glaube, dass alle Arten schon am Schöpfungstag auf Erden waren. Sie verändern sich, passen sich den Gegebenheiten ihrer Umgebung an.«
    »Aber Leah, wie kannst du so etwas sagen«, schaltete sich Alwine Uhldorff ins Gespräch. »Das ist gotteslästerlich. ER hat alle Kreaturen geschaffen.« Das gewichtige Nicken einiger Tischgäste bestätigte ihre Auffassung.
    »Jede einzelne Kreatur sicher nicht«, widersprach Leah. »Eher glaube ich, Gott hat den Plan erdacht und die Welt dann sich selbst überlassen. Es funktioniert doch ganz ausgezeichnet.«
    »Man meint, Charles Darwin aus Ihrem Mund sprechen zu hören«, sagte Wallace. Er war unübersehbar beeindruckt von der jungen Frau, die den Käfer an ihrem Finger wie einen kostbaren Ring trug. »›Gott schuf, Linné ordnet‹, wie Linné selbst sagte, doch mir geht es wie Ihnen, Miss Leah. Seit langem denke ich über die Transmutation der Arten und andere Fragen nach.«
    Leah riss erwartungsvoll die Augen auf. »Kennen Sie Charles Darwin?«
    »Nicht persönlich, doch ich stehe im Briefwechsel mit ihm. Er ist ein großer Denker.«
    »O ja! Ich hatte das Glück, seine Abhandlungen über die Südamerikareise lesen zu können.«
    Johanna lauschte dem Gespräch mit wachsender Verwirrung. Bisher hatte sie Leahs Krabbeltier-Leidenschaft für die Grille eines jungen Mädchens gehalten, doch nun musste sie feststellen, dass es Menschen gab, die sich diesem Feld mit demselben Ernst widmeten wie ihre Schwester. Offensichtlich hatte sich Leah dank der Journale und Bücher, die der Vater und auch Johanna ihr beschafft hatten, ein fundiertes Wissen angeeignet, das sie befähigte, sich mit diesem hageren Gelehrten eine Diskussion zu liefern, der niemand am Tisch folgen konnte und die ganz eindeutig den Ruch der Blasphemie in sich barg.
    Mr Wallace’ Schweigsamkeit verflog, als er in Leah eine

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