Die Insel der Orchideen
Stimmungsschwankungen, die so plötzlich auftraten wie ein Tropengewitter, leider meist aber länger anhielten, belasteten sie.
Es klopfte, und auf Friedrichs Aufforderung hin betrat sein chinesischer Mittelsmann, der ihm von Henry Farnell aus Hongkong geschickt worden war, den Raum. Die ernste Miene des sonst so fröhlichen jungen Kompradors verhieß nichts Gutes. Johanna nahm Hermann seufzend auf den Arm. Gern hätte sie gewusst, mit welchen Schwierigkeiten
Von Trebow Trading
zu kämpfen hatte, aber Friedrich hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass er sie nicht einzuweihen gedachte. Sie musste ihm vertrauen, dass er alle Schwierigkeiten meistern würde, und sie war mehr als gewillt, dies zu tun, zumal sie wusste, dass er regelmäßig mit Henry Farnell korrespondierte. Trotz ihrer Vorbehalte Farnell gegenüber beruhigte sie diese Tatsache; mochte der Engländer ihr auch nicht gewogen sein, so schätzte sie trotzdem seine Zuverlässigkeit. Sie hatte sogar schon überlegt, Farnell heimlich einzuladen, um Friedrich zu überraschen, dann aber doch davon Abstand genommen. Eine Ahnung sagte ihr, dass eine derartige Überraschung unwillkommen war, denn weder hatte Farnell seit der Hochzeit den Weg nach Singapur gefunden, noch hatte Friedrich jemals Reisepläne nach Hongkong geschmiedet.
Den Rest des Nachmittags stöberte sie in John Littles Sortiment, doch ihre Gedanken wanderten immer wieder zurück zu Friedrich. Ohne einen Einkauf zu tätigen, verließ sie kurz vor Sonnenuntergang das Geschäft. In der Tür prallte sie fast mit Ross Bowie zusammen. Sie hatte ihn seit jenem entsetzlichen Tag, an dem sie die Verlobung gelöst hatte, nicht mehr getroffen, da er die meiste Zeit durchs Archipel reiste.
»Ich wähnte dich … Sie in Hongkong«, stotterte Johanna, während er zurücktrat und eine Verbeugung andeutete. So wie die Dinge standen, gehörte es sich nicht, das vertrauliche Du zu gebrauchen, zu dem sie in der Verlobungszeit übergegangen waren. Bowie schien getroffen von der Förmlichkeit.
»Ich bin vor wenigen Tagen zurückgekehrt«, sagte er steif. »Wäre es
Ihnen
lieber gewesen, ich sei noch dort?«
»Das ist doch albern. Ich wusste einfach nicht, dass Sie wieder in der Stadt sind.«
In diesem Moment trat auch Barsha mit Hermann auf den Armen aus der Tür und stellte sich mit fragendem Gesichtsausdruck neben Johanna. Bowie starrte auf den Säugling. Traurigkeit spiegelte sich auf seinem Gesicht. Es tat Johanna in der Seele weh. Sie hatte inständig gehofft, er würde schnell über sie hinwegkommen, doch offenkundig war dem nicht so. Er war sichtlich gealtert, tiefe Linien zogen sich in seinem ohnehin groben Gesicht von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln, und um die Augen hatte sich eine ihr unbekannte Härte eingegraben. Reuig fragte sie sich, ob all dies ihr Verschulden war.
»Das ist Hermann, mein Sohn«, sagte sie, um das Schweigen endlich zu brechen.
Er riss seinen Blick von dem Kind los. »Ich gratuliere dir«, presste er hervor. »Er ist ganz der Papa.«
Die letzte Äußerung war so voller Bitterkeit, dass Johanna unwillkürlich zurückwich. Sie würde die Verletzung, die sie Ross Bowie zugefügt hatte, nie wiedergutmachen können. Hastig verabschiedete sie sich und flüchtete in eine Mietkutsche; kaum konnte die verdutzte Barsha Schritt halten. Auf halbem Weg zur Waterloo Street reichte die Kinderfrau Johanna ein Taschentuch. Johanna hatte gar nicht gemerkt, dass ihr Tränen die Wangen hinabliefen.
Zu Hause wartete die nächste unangenehme Überraschung auf sie. Schon am Gartentor hörte sie den lautstarken Streit zwischen Leah, der Mutter und Friedrich. Offenbar hatte er das Kontor schon bald, nachdem sie sich von ihm verabschiedet hatte, verlassen. Ihr Herz sank, als sie die Verandatreppe hinaufstieg. Was mochte nun schon wieder geschehen sein? Sie streckte gerade die Hand nach der Tür aus, als sie von innen aufgerissen wurde und ein silbergrauer Affe wild kreischend an ihr vorbeischoss, gefolgt von ihrer zornessprühenden Schwester.
* * *
Zwei Wochen nach jenem Abend, an dem Leah den Affen ins Haus gebracht hatte, stand Johanna unschlüssig vor der Zimmertür ihrer Schwester, den Zweitschlüssel, von dem niemand außer ihr etwas wusste, in der Hand. Sie respektierte Leahs Wunsch nach einem Rückzugsort und hatte ihr Zimmer noch nie ohne Einladung betreten, doch jetzt überwog die Sorge ihre Scheu. Sie war allein im Haus, allein mit Hermann und dem Äffchen, das seit einer
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