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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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stand ausladend gestikulierend vor einer lauschenden Menge, während der Affe Geld in einer Schale sammelte. Der Mann hielt seinen Vortrag irgendwo am Wasser, wahrscheinlich in der Telok-Ayer-Bucht. Johanna hätte viel darum gegeben, ihn kennenzulernen.
    Die Uhr im Salon schlug fünf Mal. Leah würde bald nach Hause kommen. Johanna sah hastig den Rest des Papierstapels durch. Mehr Portraits, Tiere, eine ungemein lebensechte Zeichnung vom Beladen einer Dschunke – Leah war auf einem Schiff gewesen, allein zwischen all den dürftig bekleideten Arbeitern! Angesichts der Kühnheit ihrer Schwester schnürte es Johanna die Kehle zu. Sie blätterte zur nächsten Zeichnung. Vor Schreck blieb ihr die Luft weg.
    Das Blatt glitt ihr aus den zitternden Fingern und segelte zu Boden. Voller Scham, doch unfähig, die Augen abzuwenden, starrte Johanna auf die Zeichnung. Sie kannte den schönen Chinesen. Er war Gast auf ihrer Hochzeit gewesen, und Leah hatte unschicklich oft mit ihm getanzt.
    Leah hatte Chee Boon Lee gezeichnet.
    Wie Gott ihn schuf.

9
    Mai 1859 , drei Tage später
    J ohanna stand am Schlafzimmerfenster und blickte ihrer Schwester mit zunehmender Verzweiflung nach. Schon wieder verließ sie das Haus, ohne Auskunft über ihr Ziel zu geben, doch diesmal ahnte Johanna, was sie vorhatte. So ging es nicht weiter. Leah war drauf und dran, durch einen handfesten Skandal ihr Leben zu zerstören. Es musste etwas geschehen. Doch was?
    Seit Johanna vor drei Tagen die anzüglichen Zeichnungen gefunden hatte, versuchte sie vergeblich, mit Leah zu sprechen. Voller Scham stellte Johanna fest, dass sie über all ihrem Glück das Wohlergehen ihrer Schwester aus den Augen verloren hatte. Schon lange herrschte Sprachlosigkeit zwischen ihnen und ließ nun jede ihrer mitfühlenden Fragen wie eine Farce erscheinen.
    Leah trat auf die Straße und strebte mit schnellen Schritten davon. Johanna wollte schreien, sie zur Umkehr bewegen, doch sie blieb stumm. Ihre Füße waren wie angewachsen. Nie und nimmer würde sie sich so weit erniedrigen, der Schwester nachzuspionieren.
    »Johanna?« Die Stimme ihrer Mutter erklang hinter ihr. »Hermann weint, er braucht dich.«
    Es fiel Johanna unendlich schwer, sich zu ihrer Mutter umzudrehen, die mit vorwurfsvoller Miene, Hermann auf dem Arm schaukelnd, in der Tür stand. Sie nahm ihr den Kleinen ab. Er weinte nur noch mehr, eine Faust in den Mund geschoben.
    »Vielleicht zahnt er schon«, murmelte sie. Zum ersten Mal seit seiner Geburt war es ihr nicht möglich, ihm ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken. Seit Tagen rang sie mit sich. Es wurde Zeit, eine Entscheidung zu treffen, die schwerste Entscheidung, seit sie ihre Verlobung mit Bowie gelöst hatte. Ihr war bewusst, dass sie erneut Gefahr lief, einen Menschen für immer gegen sich aufzubringen, doch sie durfte nicht egoistisch sein. Sie musste Leah vor weiterem Unglück bewahren.
    »Mutter?« Ihre Stimme klang ihr selbst fremd. Sie räusperte sich und nahm einen erneuten Anlauf. »Mutter. Bitte setz dich. Ich muss dir etwas Ernstes mitteilen. Es geht um Leah.« Sie drehte sich wieder zum Fenster. Es war ihr unmöglich zu sprechen, wenn sie die Mutter dabei ansah.
    * * *
    Ein Sonnenstrahl stahl sich durch das löchrige Dach ihres geheimen Unterschlupfs und tastete über die perfekte, von keinem Muttermal, keiner Unregelmäßigkeit entweihte Haut von Boon Lee.
    Leah stützte sich auf und betrachtete ihren Liebhaber. Er hielt die Augen geschlossen, seine Lider flatterten. Schweiß überzog seinen Körper mit einem feinen Film, perlte von seiner Oberlippe und rann aus seinem schwarzen Haarschopf. Seine Brust hob und senkte sich in schnellem Rhythmus. Kaum ein Wort hatten sie gesprochen, seit sie in der Hütte zusammengetroffen waren, hatten sich stattdessen sattgeküsst, während die Hände an Ösen und Knöpfen nestelten, Schleifen lösten und Säume zerrissen. Viel zu selten gelang es ihnen, ihr Versteck aufzusuchen, und in der Zeit dazwischen drohte Leah, an ihrem Hunger auf die Liebe und das Leben irre zu werden.
    »Ach, Leah.« Boon Lee streckte die Arme nach ihr aus und zog sie zu sich, bis sie auf ihm lag. Sein müdes Glied schmiegte sich klebrig an ihren Bauch und ließ sie auflachen. Das Leben konnte so wunderbar sein! Sie senkte ihre Lippen auf seine und verlor sich in einem zärtlichen Kuss.
    »Lass uns endlich heiraten«, murmelte sie, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war. »Ich bin das Versteckspiel so leid.«
    »Ich habe dir doch

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