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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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vergessen.
    Kurz darauf hielt die Kutsche vor einem Godown am Boat Quai. Sie entlohnte den Kutscher, hieß Barsha, die indische Ajah, auf sie zu warten, und betrat das Erdgeschoss des gemauerten Hauses. Lastenträger eilten geschäftig hin und her, kaum dass sie ihr auswichen. Für einen Moment verharrte Johanna neben der Tür, den kleinen Hermann an die Brust gepresst, und beobachtete das Treiben. Drei Jahre lebte sie schon in Singapur, aber der Lärm und das Gewühl am Fluss faszinierten sie noch immer. Friedrich hatte offenbar eine Ladung aus China bekommen, denn der betäubende Geruch von Tee hing in der Luft, so satt und schwer, dass ihr ein wenig übel wurde. Sie kannte dieses Phänomen; Tee, Gewürze und Hölzer, die in geringen Dosen wunderbar dufteten, waren in großen Mengen kaum zu ertragen.
    »Johanna! Was machst du denn hier?« Unbemerkt war Friedrich neben sie getreten. Sein Begrüßungslächeln wirkte angespannt.
    »Komme ich ungelegen?«
    »Du siehst ja, was hier los ist.«
    Johanna zuckte die Schultern. »Eher weniger als sonst. Ich kann aber wieder gehen.«
    »Nun bist du schon mal da. Was hat dich hergeführt?«
    »Ich hatte Sehnsucht nach dir, außerdem war es zu Hause ein wenig einsam. Leah jagt Käfer, und Mama ist im Convent of the Holy Infant Jesus.«
    Friedrich zog die Augenbrauen hoch. »Ich werde nie verstehen, warum sie sich ausgerechnet in einer Papistengemeinde engagiert.«
    »Es war Zufall. Mutter Raclot hatte Mama vor langer Zeit gefragt, und nach Papas Tod hat sie dort Ablenkung und eine Aufgabe gefunden. Sie hilft den Schwestern bei der Erziehung der chinesischen Waisenmädchen.«
    »Waisen?« Friedrich lachte auf. »Die Mütter sind jedenfalls quicklebendig, wenn sie ihre Brut bei Nacht und Nebel am Babytor ablegen.«
    »Die Frauen müssen sehr verzweifelt sein, wenn sie ihre Kinder hergeben«, sagte Johanna. »Wir sollten dankbar sein, dass es uns so gut geht. Willst du Hermann gar nicht begrüßen?« Sie hielt ihm den gerade zwei Monate alten Jungen entgegen. Friedrichs Lächeln wurde weich, als er seinen Sohn sah. Sanft strich er mit den Fingerspitzen über den unter der leichten Baumwollhaube hervorquellenden Haarflaum. Johanna wurde das Herz weit. Friedrich war so voller Zärtlichkeit, so voller Vorsicht im Umgang mit Hermann, kaum getraute er sich, ihn anzurühren, aus Angst, ihm weh zu tun.
    Er zog die Hand fort. »Lass uns in mein Büro gehen. Dies ist kein Aufenthaltsort für dich.«
    »Ach was«, widersprach Johanna aufgeräumt. »Ich bin nun wirklich nicht zum ersten Mal hier. Bisher hattest du nichts dagegen, wenn ich dir über die Schulter geschaut habe.«
    »Bisher hattest du auch nicht unseren Sohn auf dem Arm.«
    Johanna reckte das Kinn. »Hermann kann gar nicht früh genug die Luft des Hafens einatmen. Er ist ein echter Singapurer, vergiss das nicht. Einer, dessen Haut nach Tee und Muskat duftet. Hast du es noch nie gerochen?«
    »Unsinn.« Er schüttelte ungehalten den Kopf. Johanna verstummte irritiert. Sie mochte übertrieben haben, aber im Kern war es ihr durchaus ernst. Wer sich in Singapur nicht für die Welt des Handels interessierte, gehörte nicht hierher. Schweigsam folgte sie ihrem Gatten die Treppe in den ersten Stock hinauf. Sie hatte das Gefühl, unerwünscht zu sein.
    Sobald sich die Tür hinter ihnen schloss, bettete sie Hermann auf dem großen Schreibtisch, ging zu Friedrich, der in der Mitte des Raumes stehen geblieben war, und legte ihre Hände auf seine Schultern. Prüfend musterte sie sein plötzlich so verschlossenes Gesicht. »Dich bedrückt etwas«, stellte sie fest. »Willst du mir sagen, was los ist?«
    Unwirsch machte er sich von ihr los und trat zum Schreibtisch. Er stützte sich schwer auf, den Blick verloren auf Hermann gerichtet, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. Johanna strich ihm tröstend über den Rücken. Als ihre Finger die durch das Hemd deutlich fühlbaren Narben streiften, versteifte er sich. Schnell zog sie die Hand zurück. Sie wusste, dass diese Narben ihm seelische Schmerzen bereiteten. Manchmal, in langen und zärtlichen Nächten, erlaubte er ihr, sie zu berühren, verlor hin und wieder sogar ein Wort über seine Leidenszeit bei den Piraten, doch noch immer wusste sie längst nicht alles über jene schrecklichen Monate. Jedes Mal, wenn sie ihn danach fragte, zog er sich zurück, und so hatte sie es schließlich aufgegeben, hoffend, dass er eines Tages freiwillig seine Last mit ihr teilte. Das Warten fiel schwer. Friedrichs

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