Die Insel der Orchideen
schon gesagt, dass ich diplomatisch vorgehen muss. Es wird enormes Fingerspitzengefühl erfordern, meinem Vater die Zustimmung abzuringen. Für ihn ist es selbstverständlich, dass ich eine wohlerzogene Chinesin aus gutem Hause heirate, deren Lebensaufgabe es sein wird, mir Söhne zu schenken.«
»Die werde ich dir auch schenken«, sagte Leah trotzig. »Die schönsten Söhne der Stadt.«
Er lachte auf, doch Leah vermeinte, Bitterkeit zu hören. »Davon bin ich überzeugt, mein Sperling. Trotzdem müssen wir uns gedulden.«
Leah stemmte den Oberkörper hoch, um ihm ins Gesicht zu sehen. »Ich gedulde mich schon Monate. Sollen wir etwa warten, bis dein Vater stirbt? Dann bin ich eine alte Frau.«
»Natürlich nicht.« Er drehte den Kopf zur Seite und beobachtete einen kleinen Prachtkäfer, der neben ihm die Wand hinauflief. Mit dem Kinn wies er auf das Kerbtier. »Einer für deine Sammlung.«
»Lenk nicht ab. Wann wirst du es ihm sagen?«
»Zum richtigen Zeitpunkt.«
»Wann?«
Er seufzte. »Bald.«
»Das überzeugt mich nicht. Und wenn wir einfach fortgehen?«
»Dann verliere ich mein Erbe.«
»Wir finden schon eine Möglichkeit, zu Geld zu kommen. Notfalls werden wir Bauern. Hauptsache, wir haben uns.«
»Sei vernünftig, Leah. Wir würden in Armut zugrunde gehen. Ich bin ein Händler, und ich will auch nichts anderes sein. Ohne Kapital könnte ich nichts aufbauen.« Boon Lees Augen verengten sich ärgerlich. Leah hielt seinem Blick stand. Stumm maßen sie ihre Kräfte. Keiner gab nach.
»Du bist ein Feigling«, sagte Leah schließlich. Gespannt musterte sie sein Gesicht. Er war immer so ruhig, so besonnen. Vielleicht lockte eine Beleidigung ihn aus der Reserve.
»So denkst du also von mir? Soll ich besser gehen?«
»Untersteh dich.« Leah zwang sich zu einem leichten Ton. Sie liebte ihn so sehr, dass es beinahe schmerzte, doch kamen seine Liebesbeteuerungen ebenso von Herzen wie ihre? Zweifel schlichen sich in ihre Gedanken und verspritzten ätzende Säure.
Unvermittelt stieß er ihre Hände beiseite. Überrumpelt landete sie wieder auf seiner Brust. Er umschlang sie fest und brachte seinen Mund dicht an ihr Ohr. »Wir werden eine Lösung finden«, flüsterte er. »Ich liebe dich, Leah. Nie hätte ich geglaubt, dass mir eine Frau so viel bedeuten kann wie du.«
Sie schmiegte sich an ihn. Nein, es waren nicht nur Worte, dessen war sie sich sicher. Sie würden eine Lösung finden. Sein gleichmäßiger Herzschlag lullte sie ein. Aus weiter Ferne drangen die Geräusche der Stadt zu ihnen, ein fernes Rauschen aus Muezzinrufen, Hufgeklapper und Kirchenglocken, die zur Abendmesse bimmelten. Leah horchte auf. Ein Rascheln drang herein, viel zu nahe. Sie merkte, wie Boon Lee unter ihr erstarrte. Er hatte es ebenfalls gehört. Sofort lösten sie sich voneinander. Boon Lee legte den Finger auf seine Lippen und erhob sich lautlos. Gebückt schlich er zur Fensteröffnung. Die Läden waren längst abgefallen und verrotteten im hohen Gras. Leah folgte ihm mit pochendem Herzen. Gemeinsam kauerten sie unter dem Fenster und lauschten nach draußen. Jemand trat auf einen trockenen Ast. Bevor Boon Lee sie daran hindern konnte, streckte Leah den Kopf durchs Fenster und suchte den verwilderten Garten mit den Augen ab. Kein Mensch war zu sehen. Auch auf der Veranda befand sich niemand. Es knackte erneut. Leah riss den Kopf nach links und sah gerade noch die Rückansicht eines großen schwarz-weißen Vierbeiners durchs Gebüsch brechen. Äste flogen, Laub rieselte zu Boden, dann war der Spuk vorbei.
»Ein Schabrackentapir! Was macht der denn hier?«
Boon Lee hob ebenfalls den Kopf und spähte ins Grün der Büsche. »Bist du sicher? In Malaya soll es viele geben, aber auf unserer Insel habe ich noch keinen gesehen.«
Leah ließ sich auf den Boden sinken. »Wir haben Glück gehabt«, sagte sie mit schreckensheiserer Stimme. »Im ersten Moment habe ich befürchtet, es sei meine Schwester.«
»Du verdächtigst deine Schwester, dir zu folgen?«
Leah zuckte die Achseln. »Sie ahnt etwas, allerdings glaube ich eher, dass sie meinen Ausflügen zu Onkel Koh auf der Spur ist. In den letzten Tagen stellt sie mir ständig Fragen, die darauf abzielen.«
»Was wirst du tun?«
»Ich habe darüber nachgedacht, wollte mich aber vorher mit dir absprechen. Selbst wenn sie es noch nicht herausgefunden hat, werden wir früher oder später auffliegen, und dann wäre es besser, eine Verbündete zu haben. Ich möchte Johanna
Weitere Kostenlose Bücher