Die Insel der Orchideen
sich müde auf dem schmalen Bett in ihrer stickig heißen Dienstbotenkammer aus. Nur eine Stunde Ruhe war ihr vergönnt, bevor sie wieder ihren Pflichten als Gouvernante der beiden Mädchen der van Vollenhofens nachkommen musste. In den Tagen vor Weihnachten war sie zu Putz- und Küchendiensten herangezogen und am heutigen ersten Weihnachtstag schon um vier Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen worden. Gern hätte sie für einen Moment die Augen geschlossen, doch die Sorge, nicht rechtzeitig wieder aufzuwachen, hielt sie davon ab. Sie konnte es sich nicht erlauben, die Dame des Hauses zu erzürnen. Wenn sie die Stelle wegen auflehnenden Verhaltens verlor, würde sie in der holländischen Enklave von Makassar, wo jeder jeden kannte, keine Anstellung mehr finden. Sie wollte die Stadt jedoch nicht verlassen, bevor sie genügend Geld für einen erneuten Schritt in die Freiheit angespart hatte.
Leah wälzte sich auf die Seite und starrte auf die stockfleckige Wand. Der Kerker in Manila kam ihr in den Sinn, die endlosen bangen Tage im Dunkeln, bis eines Morgens ein Offizier erschienen war und sie mit der Warnung, sie möge niemals mehr einen Fuß in die Stadt setzen, auf ein Schiff verfrachtet hatte. Kein Flehen und Betteln, sie wenigstens so lange zu dulden, bis sich eine Passage nach China fand, hatte den Mann erweichen können, und so war sie in Makassar, der niederländischen Siedlung auf Celebes, gestrandet, mit kaum mehr Besitz als ihrem smaragdgrünen Seidenanzug und den letzten Schmuckstücken, die glücklicherweise der Aufmerksamkeit des spanischen Offiziers entgangen waren. Ihr Geld hatte man ihr noch im Gefängnis in Manila abgenommen, um damit die Schiffspassage zu bezahlen.
Sie durfte nicht undankbar sein. Obwohl sie keine Referenzen außer ihren Sprach- und Naturkundekenntnissen vorweisen konnte, hatten die van Vollenhofens ihr eine Anstellung gegeben. Das steife holländische Ehepaar hielt sie für die junge Witwe eines deutschen Kaufmannsassistenten, die durch eine Verkettung unglücklicher Umstände Heim und Vermögen verloren hatte und sich nun irgendwie durchschlagen musste. Dies allein hätte sicher nicht genügt, doch Leah hatte inzwischen von dem javanischen Hausdiener erfahren, dass den van Vollenhofens innerhalb von zwei Jahren bereits drei Gouvernanten davongelaufen waren – was mit Sicherheit daran lag, dass der nach außen hin so korrekte Hausherr innerhalb der Wände seines Hauses keine Gelegenheit ausließ, seine weiblichen Bediensteten schamlos anzustieren und gelegentlich sogar zu betatschen. Leah hatte sich seinen Annäherungsversuchen bisher entziehen können, ohne unfreundlich zu werden, doch sie fragte sich an manchem Abend, wenn sie vorsichtshalber die Tür hinter sich verriegelte, wie lange dieser unselige Tanz noch gutging.
Wütend knirschte sie mit den Zähnen. Seit sie Singapur verlassen hatte, war sie von einer Demütigung, von einer Abhängigkeit in die nächste gestolpert. Mehr als einmal war sie kurz davor gewesen, in die Waterloo Street zurückzukehren, doch sie setzte ihren Vorsatz nie in die Tat um. Sie wusste, dass es Friedrich hämische Freude bereiten würde, sie mit dem unangenehmsten aller Bewerber zu vermählen. Das blaue Auge, das sie ihm an jenem schrecklichen Abend geschlagen hatte, konnte er ihr nie verzeihen. Genauso wenig, wie sie selbst Johanna ihren Verrat verzeihen konnte.
Sie hatte gewusst, dass man es ihr schwermachen würde, ein unabhängiges Leben zu führen. Die Knüppel, die ihr in den Weg geworfen wurden, waren sogar noch größer, als sie es sich vorgestellt hatte, doch so schnell gab sie nicht klein bei; sie würde alles daransetzen, ihren Traum eines Tages wahr werden zu lassen. Hier, in China oder vielleicht sogar in Amerika, wie sie es dem Geschichtenerzähler geschrieben hatte, um seine Sorgen zu zerstreuen. Wenn es zu ihrem Kampf gehörte, noch ein Jahr oder länger in Makassar auszuharren, dann musste sie eben die Zähne zusammenbeißen. Dass ihr kein leichtes Leben beschieden war, hatte sie spätestens begriffen, als sie erst ihre Liebe und dann ihr Kind verlor.
Leah setzte sich auf und lauschte in die Tiefen des Hauses. Noch war alles ruhig; wie jeden Tag hatten sich sämtliche Bewohner für die heißen Mittagsstunden in ihre Räume zurückgezogen. Die Gelegenheit war günstig für ein schnelles Bad im Mandi der einheimischen Diener, ohne sich vor der Dame des Hauses dafür rechtfertigen zu müssen. Die van Vollenhofens hielten an der
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