Die Insel der Roboter
seid«, erklärte Sylvia Wagenführ. »Heut ist der Geburtstag seiner Frau, sie ist vor einem halben Jahr gestorben, und da hat ihn das große Elend gepackt.«
»Und was sucht er hier?« fragte ich. »Sie ist doch wohl nicht hier begraben?«
Sylvia Wagenführ sah mich streng an, aber dann lächelte sie.
»Sie haben sich hier kennengelernt«, sagte sie, »oder soll ich mich deutlicher ausdrücken? Damals war hier noch kein Schacht, sondern so eine Art Asyl der Verliebten, wenigstens im Sommer. Was sollten sie machen – die Häuser waren klein und die Eltern streng. Aber die Erinnerung vergoldet alles. Deshalb wollte er noch einmal hierhergehen und sich erinnern, und damit er nicht so allein ist, hat er sich die Flasche eingesteckt, die eigentlich für Weihnachten bestimmt war. Er hat natürlich von der INSEL gehört, aber ich bezweifle, ob er gewußt hat, daß wir gerade hier einen Zaun gezogen haben.«
Der Alte schlürfte seinen Kaffee und blinzelte uns jetzt zu, als verstünde er jedes Wort, aber er schien mir noch viel zu benebelt zu sein. Das bestätigte sich, als wir ihn zum Wagen brachten, er konnte sich kaum auf den Beinen halten.
Ich hatte mich nämlich entschlossen, ihn mit Hilfe von Sylvia Wagenführ nach Hause zu bringen. Hierbehalten konnten wir ihn nicht, die Polizei würde ihn uns nicht abnehmen, nur weil er den Zaun überklettert hatte, und das wäre auch nicht angemessen gewesen. Einfach hinauswerfen konnten wir ihn auch nicht – in seinem Zustand und bei Frostwetter. So jedoch würde ich Gelegenheit haben, noch mehr über ihn zu erfahren, und vor allem, mich bei ihm zu Haus ein wenig umzusehen.
Das Haus war ein winzig kleines Einfamilienhaus in einem verschneiten Garten, von außen wie von innen sauber und ordentlich. In der Nacht war frischer Schnee gefallen – ein rascher Blick überzeugte mich, daß es außer der Fußspur des Bewohners, die von der Tür zur Gartenpforte führte, also bei seinem Weggang entstanden war, keinerlei Fußspuren auf dem Weg oder im Garten gab. Wenn im Haus niemand war, konnte Tobias Gall also spätestens gestern abend Besuch gehabt haben. Seine Absicht hatte aber offenbar beim Weggang schon festgestanden – davon zeugte sein Anzug.
Während Sylvia Wagenführ sich mütterlich um den alten Mann bemühte und ihn ins Bett brachte, sah ich mich um. Es schien niemand weiter im Haus zu sein. Es deutete auch nichts darauf hin, daß etwa ein weiterer Bewohner hier einige Tage zugebracht hätte. Die Nachbarin schien erraten zu haben, was mich beschäftigte, denn sie sagte: »Dort ist die Luke zum Keller!«
Ich sah im Keller nach, aber auch mit negativem Ergebnis.
»So, und jetzt kommen Sie!« sagte sie flüsternd. »Der alte Tobias schläft jetzt, wir können uns noch bei mir unterhalten. Ein heißer Kaffee wird Ihnen bestimmt gut tun!«
Tatsächlich, ich merkte jetzt erst, daß ich fror. Das Haus war noch nicht geheizt, Sylvia Wagenführ hatte eben erst Feuer gemacht.
»Ich geh’ nachher noch den Ofen zudrehen!« sagte sie, als wir das Haus verließen.
»Sie scheinen sich hier gut auszukennen?«
»Ich helfe dem alten Tobias oftmals«, sagte sie. »Großreinemachen und so.«
Das Wagenführsche Haus war etwas größer und komfortabler – zweistöckig, mit Luftheizung und allerlei Haushalttechnik. Im Flur fiel mir ein Bild des Fichtelberg-Hotels auf, mit irgendeiner Unterschrift und Widmung versehen, und ein dünner Stock aus Bambus oder so etwas Ähnlichem.
»Nun wissen Sie wenigstens gleich, wo Sie sind«, sagte die Hausfrau, als wir ins Wohnzimmer gingen.
»Wieso?«
»Na, mein Mann ist Lehrer, und wenn mal der eine oder andere Schüler ihn besucht, läßt er den Rohrstock in der Luft pfeifen und erzählt aus seiner Schulzeit. Den hat er nämlich mal als Schüler geklaut. Der Direktor des Kreismuseums ist ganz scharf auf dieses historische Stück.«
Aha, dachte ich, das ist also ein Rohrstock!
»Und das Fichtelberg-Hotel?«
»Dort hab’ ich mal die Abteilung Gebäudereinigung geleitet. – Setzen Sie sich hierhin, von hier aus können Sie Galls Gartentür im Auge behalten, das wollten Sie doch?«
Ich nickte, und sie ging Kaffee aufbrühen. Als sie wieder hereinkam, sagte sie: »Sie können mir glauben, der alte Tobias ist wirklich harmlos.«
»Das glaube ich auch«, erwiderte ich. »Aber wenn jemand erfährt, daß er auf der INSEL war…«
»Er hat mit niemand Umgang außer mit uns. Und gestern abend war ich noch bei ihm drüben, wenn er da schon die
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