Die Insel der roten Erde Roman
wirklich sehr merkwürdig. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich habe Amelia gesagt, sie müsse Brian nicht treffen, aber ich hoffe, sie wird ihre Meinung noch ändern.«
»Ich habe ihr Camillas Briefe zu lesen gegeben.«
Charlton machte ein verwirrtes Gesicht. Er konnte den Gedankensprung seiner Frau nicht nachvollziehen.
»Ich dachte mir, dass die Briefe ihr helfen, ihren Kummer zu überwinden«, erklärte Edna. »Stattdessen benimmt sie sich noch seltsamer als zuvor. Etwas stimmt hier nicht, Charlton!«
»Tja, ich möchte Amelia zu gern helfen, Edna, aber ich muss gestehen, ich weiß nicht mehr weiter.«
»Vielleicht hat Brian Huxwell eine Erklärung für ihr eigenartiges Verhalten.«
»Hoffen wir’s«, meinte Charlton. »Ein Jammer, dass ihr das Vermögen ihrer Eltern ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt zufällt. Ich fürchte, sie ist damit hoffnungslos überfordert, und das hat nichts mit ihrem Alter zu tun.«
Edna überlegte. Vielleicht sollte Amelia Dr. Thompson zu Rate ziehen. Er hatte ihr Mündel noch nicht kennen gelernt, aber es ließ sich bestimmt ein Vorwand für ein Zusammentreffen finden.
»Ich glaube, ich werde Dr. Thompson für einen der nächsten Abende zum Essen einladen«, sagte Edna.
Ja, genauso würde sie es machen.
16
»Was suchen Sie denn, Carlotta?«, fragte Gabriel. Als er einen Sack Mehl aus dem Vorratslager holen wollte, sah er sie hektisch in den Vorräten wühlen.
Sie fuhr erschrocken hoch. »Bücher!«
Gabriel blickte verdutzt drein. »Bücher?«
»Sì. Gibt es hier keine?«
»Nein.« Gabriel schüttelte den Kopf, und Carlotta machte ein langes Gesicht. »Können Sie denn Englisch lesen?«
»Natürlich!«, fauchte sie. Als Carlotta und ihre Familie auf den Goldfeldern von Ballarat gehaust hatten, hatte ihr Vater die Frau eines »Nachbarn« gebeten, seinen Töchtern Englisch in Wort und Schrift beizubringen. Da sie ihm keine große Hilfe waren und seiner Ansicht nach eine viel zu große Verlockung für lüsterne Goldschürfer darstellten, wollte er sie auf diese Weise beschäftigen. So kam es, dass Carlotta recht gut Englisch lesen konnte.
»Ich habe etliche Bücher in meinem Cottage«, sagte Gabriel. »Ich weiß nur nicht, ob etwas dabei ist, das Ihnen gefallen könnte.« Er besaß Bücher über Leuchttürme auf der ganzen Welt, über Schifffahrtskatastrophen, Segelschiffe, fremde Häfen, Riffe, Sandbänke und Inseln, über die Fauna und Flora Australiens und über berühmte Seefahrer.
»Oh, ich finde bestimmt etwas! Ich darf nachsehen, vero?«
Suchte sie vielleicht nur nach einem Vorwand, um mit ihm allein im Haus zu sein? »Haben Sie etwas Bestimmtes im Sinn?«, fragte er vorsichtig.
Carlotta überlegte fieberhaft. »Ich … ich wollte mehr über die Insel erfahren.«
»Über die Insel? Über ihre Geschichte, meinen Sie?«
»Unsinn!«, erwiderte sie grob und lief im nächsten Moment rot an. »Ich meine … ja, auch, aber vor allem interessiert mich die Vegetation.« Ihre weit ausholende Geste schloss die gesamte Umgebung ein.
»Die Vegetation?« Gabriel traute seinen Ohren nicht.
»Ja. Ich koche doch so gern, und da wollte ich herausfinden, ob hier Pflanzen wachsen, die ich verwenden könnte. Was ist daran so merkwürdig?«
Gabriel lag schon die Bemerkung auf der Zunge, dass alles, was sie sagte, irgendwie merkwürdig sei, doch er beherrschte sich. »Nichts. Ich wundere mich nur, weil Sie sich bisher nie für die Insel interessiert haben.«
Carlotta reckte das Kinn vor. »Ich langweile mich eben! Es gibt ja sonst nichts für mich zu tun. Haben Sie nun Bücher über dieses Thema oder nicht?«
»Doch, ich denke schon.« So sehr ihn ihr plötzliches Interesse für Wildpflanzen erstaunte, so froh war er, dass sie offenbar einen Zeitvertreib gefunden hatte, der sie hoffentlich von ihm und seiner Sarah ablenken würde.
Carlotta lächelte. »Fein. Können wir sie holen?«
»Jetzt gleich?«
»Warum nicht? Kommen Sie, gehen wir!«
Gabriel zuckte mit den Schultern. Es passte ihm zwar nicht, wie sie ihn herumkommandierte, aber wenn sie sich mit den Pflanzen befasste und ihn dann in Ruhe ließ, sollte es ihm recht sein. Er schulterte den Sack Mehl, dessentwegen er gekommen war, und ging zum Haus zurück. Carlotta folgte ihm. Gabriel suchte drei Bücher für sie heraus, darunter das eines Botanikers von der University of New South Wales, Professor James Lally. Dieses Buch hatte es Carlotta besonders angetan.
»Es hat viele
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