Die Insel der roten Erde Roman
missbilligenden Blick. Sie würde schon dafür sorgen, dass jeder in der Stadt glaubte, Evans Farmhelferin sei eine Kriminelle, der man nicht trauen durfte.
»Eine Zuchthäuslerin?«, rief Silvia entsetzt. »Soll das heißen, Evan hat seine Kinder einer Verbrecherin anvertraut?«
»Genauso ist es«, sagte Sarah triumphierend.
»Sie macht einen sehr netten Endruck«, beruhigte Edna die Lehrerin und bedachte ihr Mündel mit einem weiteren strafenden Blick. »Ich habe mit ihr gesprochen, und ich bin sicher, die Kinder sind gut bei ihr aufgehoben.«
»Wie können Sie so etwas sagen, Edna?«, empörte sich Silvia. »Diese Frau muss ein schlimmes Verbrechen begangen haben, sonst wäre sie nicht zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden!«
»Nicht unbedingt, Silvia. Auch Kinder werden nach Van-Diemens-Land gebracht und dort in Haft gehalten – und welche schrecklichen Verbrechen können Kinder schon begehen? Miss Jones wurde wegen Diebstahls verurteilt, aber Einzelheiten weiß ich nicht. Und Evan ist ein vorsichtiger Mann. Er würde seine Kinder niemals in die Obhut einer Frau geben, der er nicht blind vertraut. Auch Gabriel Donnelly hat eine hohe Meinung von ihr.«
»Das werden wir ja sehen! Ich gehe gleich hinüber«, sagte Silvia energisch, erhob sich und stellte ihre Tasse auf das Tablett. »Ich möchte mir selbst ein Bild von dieser Frau machen. Die Kinder werden meine Schule besuchen, also muss ich mehr über ihre häusliche Situation wissen. Sollte ich feststellen, dass die Kinder auf irgendeine Weise sittlich gefährdet sind, werde ich ein ernstes Wort mit Evan reden!«
»In dieser Hinsicht können Sie ganz beruhigt sein«, meinte Edna. »Ist es nicht so, Charlton?«
Er nickte. »Ich bin ganz deiner Meinung. Die Kinder hängen sehr an ihr, und sie machen einen sauberen, ordentlichen Eindruck. Das ist mehr, als ich erwartet hätte.«
»Ich werde Sie begleiten und Sie miteinander bekannt machen«, bot Lance der Lehrerin eifrig an. Sarah machte ein säuerliches Gesicht, als sie das hörte.
Silvia sah ihn an. »Sie sind ihr schon begegnet?«
»Ja, heute Morgen. Sie ist wirklich nett.« Was er in Wahrheit dachte, verschwieg er: Dass er im Leben keine sanftmütigere und schönere Frau gesehen hatte.
Silvia schien noch nicht überzeugt.
»Sie ist raffiniert«, giftete Sarah. »Aber offenbar nicht raffiniert genug, sonst wäre sie ja nicht erwischt und verurteilt worden!«
Edna, Charlton und Lance starrten sie fassungslos an. Sarah reckte trotzig das Kinn in die Höhe. Unbehagliche Stille breitete sich aus.
»Tja«, sagte Silvia schließlich und stand auf, »ich schaue nachher nochmal vorbei, wenn ich drüben war.«
»Tun Sie das.« Edna erhob sich ebenfalls.
Lance ging mit Silvia hinaus.
Edna wandte sich ihrem Mündel zu und sagte scharf: »Evan Finnlay hat offenbar vollstes Vertrauen zu Miss Jones, und seine Kinder scheinen sie sehr zu mögen. Warum also versuchst du, andere gegen sie aufzubringen, Amelia?«
»Ich sage nur die Wahrheit«, verteidigte sich Sarah. »Hältst du es nicht auch für besser, wenn jeder die Wahrheit über diese Frau erfährt? Sie ist eine Zuchthäuslerin, das darf nicht verschwiegen werden!« Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und ging in ihr Zimmer. Sie schloss die Tür hinter sich und eilte ans Fenster, von wo sie beobachtete, wie Lance mit Silvia Strathborne nach Faith Cottage hinüberging.
Lance klopfte an. Augenblicke später erschien Amelia in der Tür. Sarah konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde, blieb aber auf ihrem Posten und beobachtete.
»Ich bin es schon wieder«, sagte Lance lächelnd. »Ich möchte Ihnen Silvia Strathborne vorstellen, die Lehrerin, von der wir vorhin gesprochen haben.«
»Oh! Freut mich sehr, Sie kennen zu lernen, Miss Strathborne.«
»Silvia, das ist Miss Jones«, sagte Lance und deutete mit einer knappen Handbewegung auf Amelia.
Silvia musterte sie prüfend, schwieg aber.
»Silvia war gerade drüben bei meinen Eltern, und da dachte ich, sie könnte sich selbst ein Bild von den Kindern machen«, fuhr Lance fort, um das peinliche Schweigen zu beenden.
»Treten Sie doch näher, Miss Strathborne«, bat Amelia.
Silvia wandte sich Lance zu und entließ ihn mit den Worten: »Vielen Dank für Ihre Begleitung, Lance. Wir sehen uns nachher.«
Enttäuscht, weil er gern noch bei der bildschönen Sarah Jones geblieben wäre, drehte Lance sich um und ging zum Haus seiner Eltern zurück.
Eine Stunde später klopfte Silvia Strathborne
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