Die Insel der roten Erde Roman
musste einen Weg finden, sich klammheimlich aus dem Staub zu machen. Innerlich stieß sie einen tiefen Seufzer aus. Wäre das Vermögen, das ihr zufiel, nicht so riesig, wäre sie wahrscheinlich längst geflüchtet.
»Ich bin sicher, Brian Huxwell wird bald von sich hören lassen«, fuhr Charlton fort. »Er sagte, sobald die Papiere unterschrieben seien, gehe alles ganz schnell. Du bist dir hoffentlich im Klaren darüber, dass einige wichtige Entscheidungen anstehen, was den Grundbesitz betrifft.«
»Ja, Onkel Charlton. Aber ich habe ja dich. Du wirst mir dabei helfen, nicht wahr?«, schmeichelte sie ihm. Sie hatte die Absicht, den Grundbesitz der Divines schnellstmöglich zu Geld zu machen. Und obwohl es ein Kinderspiel für sie war, Charlton um den Finger zu wickeln, fürchtete sie, er könnte sich gegen ihre Pläne stellen.
»Natürlich, mein Kind. Ich werde dir helfen, so gut ich kann«, sagte er.
»Danke, Onkel.«
Sarah ging in ihr Zimmer zurück. Seit Amelia Divine zwei Tage zuvor nebenan eingezogen war, hatte Sarahs innere Unruhe sich ins Unerträgliche gesteigert. Sie konnte nicht mehr schlafen; ja, sie hatte manchmal das Gefühl, jeden Moment einen Nervenzusammenbruch zu bekommen. Als sie in der Nacht zuvor erneut wach gelegen hatte, war sie zu dem Schluss gekommen, dass es keinen Sinn hatte, ständig darüber nachzugrübeln, ob Amelia ihr Gedächtnis wiedererlangen würde oder nicht. Sie musste sich Klarheit verschaffen, musste wissen, was in Amelias Kopf vorging – und das konnte sie nur, wenn sie Amelias Nähe suchte. Im Gefängnis hatte Sarah gelernt, dass man sich an seine Feinde heranmachen und ihr Vertrauen gewinnen musste; nur so fand man heraus, was sie im Schilde führten. Doch wie sollte sie das anfangen, nachdem sie jedem, der es hören wollte, unmissverständlich erklärt hatte, was für ein schlechter Mensch diese junge Frau sei, die Schuld an Lucys Tod trug?
Und noch etwas war ihr klar geworden: Es brachte nichts, wenn Amelia nach Van-Diemens-Land zurückgeschickt wurde, weil der Gefängnisdirektor und die Wärter sofort merken würden, dass es sich nicht um die echte Sarah Jones handelte.
Ein Einspänner rollte die Einfahrt herauf und am offenen Fenster von Sarahs Zimmer vorbei. Sie erkannte Dr. Thompson. Edna war hinter dem Haus. Sarah hörte, wie sie den Arzt begrüßte.
»Wie geht es meinem Patienten?«, fragte Dr. Thompson. »Es ist mir gar nicht recht, dass ich drei Tage lang nicht nach ihm sehen konnte, aber ich musste auf der Albright-Farm bleiben. Margaret hat Zwillinge bekommen, und es war eine schwere Geburt.«
»Machen Sie sich deswegen keine Gedanken, Dennis. Milo geht es jeden Tag besser. Wie geht es Margaret?«
»Sie ist wohlauf. Und ihre beiden Söhne auch.«
»Das freut mich sehr«, sagte Edna. Die Erleichterung war ihrer Stimme anzuhören. »Milo ist nebenan.«
»Oh! Dann sind die Finnlays also schon da.«
»Die Kinder und Evan Finnlays Farmhelferin sind am Sonntag gekommen. Evan kommt zu Pferd nach, weil sie das Tier nicht auf das Schiff verladen konnten. Charlton und ich wollten eigentlich gerade in die Stadt, aber ich begleite Sie gern hinüber. Dann kann ich Ihnen Miss Jones vorstellen, Evans Helferin. Sie kümmert sich um die Kinder, bis er da ist. Sie erinnern sich doch, Dennis – ich habe Ihnen von der jungen Frau erzählt. Sie wurde zusammen mit meinem Mündel von der Gazelle gerettet.«
»Ich erinnere mich, ja. Aber ich will Sie nicht aufhalten, Edna, gehen Sie ruhig. Miss Jones und ich machen uns selbst miteinander bekannt. Kann ich den Buggy hier solange stehen lassen?«
»Aber natürlich.«
Sarah begann am ganzen Körper zu zittern. Amelia würde dem Arzt natürlich von ihrem Gedächtnisverlust erzählen. Was, wenn er ihr helfen konnte, das Gedächtnis wiederzuerlangen?
Dennis ging nach Faith Cottage hinüber, klopfte an die Hintertür und rief: »Hier ist Dr. Thompson! Darf ich hereinkommen?«
Amelia hatte ihn schon erwartet, weil Edna erklärt hatte, er werde wohl noch vorbeischauen. »Ja, kommen Sie nur, Doktor!«
Milo, der mittlerweile an Dennis Thompsons Besuche gewöhnt war, lief ihm freudig entgegen. Dennis hörte Herz und Lunge ab, befühlte Milz- und Nierengegend und sah ihm prüfend in die Augen. »Mir scheint, der junge Mann ist vollständig genesen«, meinte er dann.
»Gott sei Dank! Da wird sein Vater erleichtert sein.« Und auch Amelia fiel ein Stein vom Herzen.
»Ich möchte ihn trotzdem noch einige Wochen beobachten.
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