Die Insel der roten Erde Roman
verloren.«
»Wie kann man denn sein Gedächtnis verlieren?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe mir den Kopf angeschlagen und bin ohnmächtig geworden. Als ich aufwachte, fehlte mir jede Erinnerung.«
Plötzlich trat Sissie vor die Haustür. »Komm sofort herein, Rose!«, rief sie verärgert, als sie ihre Schwester mit Amelia reden sah.
Die Kleine gehorchte. Amelia richtete sich auf und schaute die Ältere an. Diese warf ihr einen abschätzigen Blick zu und ging zurück ins Haus.
»Sie kann mich nicht leiden, so viel steht fest«, murmelte Amelia vor sich hin und stieß den Spaten aufs Neue in den Boden. Bis sie einige wenige Kartoffeln herausgeholt hatte, waren ihre Handflächen voller Blasen. Sissie fing Amelia ab, als sie die Kartoffeln ins Haus trug.
»Warum hast du die Sachen meiner Mutter an?«
Amelia sah, dass das Mädchen den Tränen nahe war. »Dein Vater hat sie mir gegeben, weil ich beim Schiffsunglück alles verloren habe. So hat man es mir jedenfalls erzählt. Ich selbst kann mich an nichts erinnern, Sissie.«
»Ich heiße Cecelia .«
»Aber dein Vater hat gesagt, du heißt Sissie.«
»So darf mich nur meine Familie nennen.«
»Oh.« Die Antwort traf Amelia wie ein Schlag ins Gesicht. »Ich werde es mir merken, Cecelia.«
Das Mädchen musterte sie mit zornig funkelnden Augen und rief dann Rose, Bess, Molly und Jessie. »Kommt, wir müssen die Eier einsammeln.« Sie hob den Topf mit dem angebrannten Haferbrei hoch und spähte angewidert hinein. »Das können wir bei der Gelegenheit gleich den Hühnern geben … falls sie das Zeug überhaupt fressen.«
»Wo ist eigentlich Milo?«, fragte Amelia, als die Mädchen hinausgingen. Sie wusste nicht, ob sie auf ihn Acht geben sollte.
»Bei Papa«, sagte Molly.
Amelia nickte, wusch die Kartoffeln ab, gab sie in einen Topf Wasser, den sie über dem Feuer aufgesetzt hatte, und ging wieder nach draußen, um Zwiebeln und Pastinaken zu holen. Es dauerte nicht lange, bis die Blasen an ihren Händen aufgeplatzt waren. Die rohe Haut darunter brannte und blutete. Als sie ihre schmerzenden Hände vorsichtig säuberte, kam Evan ins Haus. Milo tappte hinter ihm her.
»Du musst Wäsche waschen«, sagte er. »Der Junge hat nichts mehr anzuziehen.«
»Mit diesen Händen? Damit kann ich keine Wäsche rubbeln.« Sie zeigte ihm ihre wunden Handflächen, doch Evan sah kaum hin.
»Deine Hände sind nichts gewöhnt. Du musst sie abhärten, und das geht nur durch harte Arbeit. Du wirst die Wäsche waschen! Und in Zukunft erledigst du das, sobald das Wasser warm genug ist, damit die Sachen schnell wieder trocknen können.«
»Die Kinder und ich brauchen ein Bad«, sagte Amelia zornig. »Und so, wie Sie riechen, könnte es Ihnen auch nichts schaden!«
Evan machte ein beleidigtes Gesicht. »Das Baden kann warten. Auf meiner Farm wird das Wichtigste zuerst erledigt.«
Evan war ein eigensinniger Mann, aber nicht einmal er würde es schaffen, ihr das Bad auszureden. Die schmutzige Kleidung würde sie immer noch waschen können, aber zuerst würde sie ein Bad nehmen, und wenn es das Letzte war, was sie tat!
»Sitz hier nicht untätig herum! Mach dich an die Arbeit!«, fuhr Evan sie an und wandte sich wieder zum Gehen.
»Können Cecelia oder Rose das nicht erledigen?«
»Die haben ihre eigenen Pflichten. Ihre Mutter hat alle Arbeiten erledigt, die ich jetzt dir zuweise – du siehst also, man kann es schaffen.« Damit verließ er das Haus.
Amelia zitterte vor ohnmächtiger Wut. Am liebsten hätte sie ihn gefragt, ob seine Frau so früh gestorben sei, weil er sie wie einen Ackergaul habe schuften lassen, doch sie riss sich zusammen.
Nach ein paar Minuten kam er wieder. »Hier, das Lammfleisch für den Eintopf. Ruf mich, wenn die Kartoffeln fürs Mittagessen fertig sind. Wir werden ein paar Eier dazu braten.«
Als die Mädchen die Eier gebracht hatten, holten sie die schmutzige Wäsche aus dem Anbau, wie ihr Vater es ihnen aufgetragen hatte, und warfen sie neben dem Küchentisch auf einen Haufen. Dann liefen sie wieder hinaus, um das Pferd zu füttern und den Hühnerstall zu reinigen. Amelia starrte auf den Berg schmutziger Wäsche. Tränen kullerten ihr über die Wangen. Ihre Hände pochten vor Schmerz. Sie fühlte sich hundeelend. Fast eine Stunde saß sie da und weinte. Schließlich trocknete sie sich die Tränen ab. Mit einer Gabel prüfte sie, ob die Kartoffeln schon gar waren, schüttete dann das Wasser ab, stellte den Topf beiseite und schlug ein paar Eier auf dem
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