Die Insel der roten Erde Roman
wir müssen sorgsam mit unseren Lebensmitteln umgehen!«
»Es tut mir Leid«, sagte Amelia leise.
»Das hilft uns auch nicht weiter!«, brüllte Evan. »Davon werden meine Kinder nicht satt!«
»Ich hab’s doch nicht absichtlich getan. Falls ich jemals kochen konnte, weiß ich es nicht mehr. Das Erste, woran ich mich erinnere, ist der Augenblick, als ich im Haus des Leuchtturmwärters aufgewacht bin. Ich weiß nichts mehr von meinem früheren Leben! Haben Sie eine Ahnung, wie das ist?«
Evan antwortete nicht, doch ihre Verzweiflung schien echt.
»Natürlich wissen Sie es nicht!«, fuhr sie zornig fort. » Sie können sich ja an alles erinnern. Ich aber weiß nichts mehr über meine Familie, mein Zuhause, meine Vergangenheit. Vielleicht ist die eine oder andere Erinnerung schmerzlich für Sie, aber Sie sollten dankbar dafür sein, denn auch die schmerzlichen Dinge gehören nun mal zum Leben. Es ist grausam, gar nichts mehr zu wissen. Das würde ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen!« Weinend stürmte sie hinaus.
Es war kurz vor Mitternacht. Amelia schrubbte noch immer schmutzige Kleidungsstücke. Sie wollte sie gleich am nächsten Morgen aufhängen, damit sie rasch trockneten. Dem riesigen Berg nach zu urteilen, war lange nicht gewaschen worden. Die Kleidung der Mädchen war fadenscheinig und zerschlissen. Die jüngeren Geschwister mussten die Sachen der älteren auftragen. Milo habe nichts Sauberes mehr anzuziehen, hatte Evan gesagt. Wie Amelia feststellte, galt dies auch für die Mädchen, doch das Wohl seines Sohnes ging Evan offenbar über alles. Er nahm ihn überallhin mit und sorgte sich ständig um ihn. Die Mädchen – insbesondere die jüngsten, Jessie und Molly – konnten einem Leid tun.
Amelias Hände waren gerötet und aufgesprungen. Sie konnte die Augen kaum noch offen halten, und ihre Knie und ihr Rücken schmerzten höllisch, doch sie wollte unbedingt fertig werden. Sie betrachtete das Wäschewaschen als Strafe dafür, dass sie das Essen hatte anbrennen lassen. Der Gedanke, dass die Kinder durch ihre Schuld hungrig zu Bett gegangen waren, machte ihr sehr zu schaffen.
Amelia rubbelte gerade das letzte Kleidungsstück, als die Tür geöffnet wurde. Evan kam herein. Er hatte Licht brennen sehen und gehört, wie seine Farmhelferin eimerweise Waschwasser im Gemüsegarten ausschüttete.
Amelia, die neben dem Bottich kniete, schaute auf. Evan hielt einen Teller in der Hand. Eine Scheibe Schmalzbrot lag darauf. In der anderen Hand hielt er ein Glas Milch. Er ließ den Blick über die saubere Kleidung schweifen und stellte dann den Teller und das Glas neben Amelia auf den Boden.
Sie machte ein verdutztes Gesicht. »Geben Sie das bitte den Kindern«, sagte sie dann zu Evans Überraschung. »Ich brauche es nicht.«
»Die Kinder haben schon gegessen. Das hier ist für dich. Du hast es verdient«, erwiderte er und verließ die Hütte.
Kingscote
Sarahs erster Tag in ihrem neuen Zuhause verlief ganz anders als der Amelias. Niemand weckte sie mit einem Tritt gegen die Matratze, niemand befahl ihr, Frühstück zu machen, niemand kommandierte sie herum. Sie erwachte ausgeruht in einem bequemen Bett und wurde höflich von Polly geweckt, die ihr mitteilte, dass das Frühstück in einer halben Stunde serviert würde.
Als Sarah hinunterkam, tat sie sehr nachdenklich. Sie wünschte den Ashbys, die bereits am Tisch saßen, einen Guten Morgen und versank dann in grüblerisches Schweigen. Den Tee und den Toast mit dem pochierten Ei, die Polly ihr serviert hatte, rührte sie nicht an. Edna musterte sie besorgt.
»Bedrückt dich irgendetwas, Amelia, Liebes?« Sie hatte sich schon Vorwürfe wegen des Gesprächs über die bevorstehende Erbschaft gemacht. Vielleicht war es dafür noch zu früh gewesen.
»Ich muss nur daran denken, was für ein Glück ich hatte, dass ich bei der Schiffskatastrophe gerettet wurde, während so viele andere ums Leben gekommen sind.«
»Da hast du Recht«, pflichtete Charlton ihr bei. Er faltete die Morgenzeitung zusammen, die über den Untergang der Gazelle berichtete. »Anscheinend hast du einen Schutzengel gehabt.« Er dachte an ihre Eltern und ihren jüngeren Bruder, doch die Gedanken seines Mündels gingen in eine ganz andere Richtung.
»Ich glaube, der Leuchtturmwärter war mein Schutzengel. Hätte er mich und die andere Frau nicht im Schein des Leuchtfeuers auf dem Felsenriff entdeckt, als die Flut kam, hätten uns wahrscheinlich die Haie geholt.«
»Wir
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