Die Insel der roten Erde Roman
desto schneller würde sie zu ihrem Bad kommen.
Nachdem sie einige Male zwischen Brunnen und Kessel hin und her gelaufen war, fiel ihr der Haferbrei wieder ein. »O Gott!«, entfuhr es ihr, und sie rannte zurück ins Haus. Die Kinder waren inzwischen aufgestanden und trotteten nacheinander aus dem Anbau.
»Was riecht hier denn so eklig?«, fragte eins der älteren Mädchen.
Ängstlich spähte Amelia in den Topf über dem Feuer. Der Haferbrei hatte sich in eine blubbernde, brodelnde, zähe Masse verwandelt. Hektisch goss sie Wasser hinein und rührte um. Jetzt schwammen widerliche schwarze Klumpen in einer unappetitlichen Brühe. In diesem Moment betrat Evan das Haus. Erwartungsvoll schaute er zum Feuer.
»Wie weit bist du mit dem Frühstück?«
»Ich … ich bin hinausgegangen, um Wasser zum Waschen zu holen, und als ich zurückkam, da …« , stammelte sie verlegen und verstummte.
Evan eilte zum Topf und warf einen Blick hinein. Seine Miene verhieß nichts Gutes, als er sich Amelia zuwandte. »Dieses Zeug werden meine Kinder nicht essen! Das kannst du an die Hühner verfüttern!« Er sah, dass der Eimer neben der Feuerstelle leer war. »Hast du die Kuh denn noch nicht gemolken?«
»Nein. Ich sagte doch, ich habe Wasser für ein Bad geholt.«
»Ein Bad? Für wen?«
»Für … für mich«, stammelte sie. »Ich muss unbedingt baden, und …«
Den Kindern würde es auch nicht schaden, hatte sie hinzufügen wollen, kam aber nicht mehr dazu, denn Evan ließ sie nicht ausreden. »Du hast dir noch kein Bad verdient!«, herrschte er sie an.
Amelia senkte den Kopf. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Ich werde ein Brot backen«, knurrte Evan. »Geh und melk die Kuh, damit die Kinder wenigstens etwas Warmes zu trinken haben. Und beeil dich gefälligst!«
Wortlos griff Amelia nach dem Eimer und trottete mit gesenktem Kopf zur Tür. Die Kinder lachten sie hinter vorgehaltener Hand aus, und sie kam sich schrecklich dumm vor und schämte sich ihrer Ungeschicklichkeit.
Als sie sich der Kuh näherte, drehte diese den Kopf und schaute sie aus großen braunen Augen an. »Du musst mir helfen«, flüsterte Amelia. »Ich habe das noch nie gemacht.«
Die Kuh muhte leise und fraß weiter. Wäre sie nicht angebunden, würde sie bestimmt davonlaufen, dachte Amelia.
»Du hast den Schemel vergessen«, sagte ein dünnes Stimmchen.
Amelia fuhr herum. Eins der jüngsten Mädchen stand hinter ihr und streckte ihr einen dreibeinigen Schemel hin. »Den brauchst du.«
»Danke.« Amelia wischte sich die Tränen ab. »Wie heißt du?«
»Molly.«
»Weißt du, wie man eine Kuh melkt, Molly?«
Die Kleine schüttelte den Kopf.
»Ich habe die Kuh gefragt, ob sie’s mir sagt, aber sie will nicht.«
Molly guckte sie groß an. »Kühe reden doch nicht.«
»Ein Jammer, nicht wahr?« Amelia seufzte.
Molly trat neben die Kuh und zeigte auf das dicke Euter. »Man zieht an den Dingern da.«
»Ja, so weit war ich auch schon«, seufzte Amelia und verzog das Gesicht. Sie stellte den Melkschemel hin, und die Kuh wandte sich ihr abermals zu. »Du hast doch nichts dagegen, oder?« Die Kuh senkte den Kopf und ließ sich das Gras schmecken. »Anscheinend nicht«, murmelte Amelia, und Molly kicherte. Amelia überwand sich. Sie ergriff zwei Zitzen und zog fest daran. Nichts geschah. Sie versuchte es ein zweites Mal. Wieder nichts. Sie schaute Molly an. »Gibt es irgendein Geheimnis, damit es funktioniert?«
Molly zuckte die Achseln. »Bei Sissie geht’s.«
»Dann könnte Sissie mir vielleicht zeigen, wie es gemacht wird.«
»Ich frag sie.« Schon lief Molly zum Haus zurück.
»Nein, warte!«, rief Amelia, doch die Kleine hörte nicht. »O nein!«, stöhnte Amelia vor Angst, wieder zu versagen und erneut von Evan heruntergemacht zu werden. Erst hatte sie das Frühstück ruiniert und jetzt das. Sie hätte Molly bitten sollen, heimlich mit Sissie zu reden, damit ihr Vater nichts mitbekam. Aber jetzt war es zu spät.
Als sie sich erneut mit den Zitzen abmühte, stieß die Kuh plötzlich ein lautes Brüllen aus. Amelia fuhr erschrocken zurück und plumpste vom Melkschemel. Auf einmal merkte sie, dass sie nicht allein war. Sie schaute auf und sah Sissie neben sich stehen. Das Mädchen hatte die Arme vor der Brust verschränkt und musterte sie mit verächtlicher Miene, die der ihres Vaters nicht unähnlich war. Anscheinend kannten beide keine Nachsicht mit Dummköpfen. Amelia wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken.
Wortlos stellte
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