Die Insel der roten Erde Roman
antwortete nicht, doch er konnte sich sehr gut vorstellen, dass ein Bad für die junge Dame wichtiger war als ein Eintopf über dem Feuer.
»Diese Frau hat das ganze warme Wasser zum Baden benutzt! Sie muss stundenlang im Zuber gesessen haben, weil der Eintopf verkohlt war. Es war eine Heidenarbeit, den Topf wieder sauber zu kratzen!«
»Du kannst von meinen Vorräten mitnehmen, was du brauchst. Ich möchte nicht, dass deine Kinder hungern müssen.«
»So weit ist es noch nicht. Im Notfall kann ich uns ein Stück Wild schießen.«
»Kann die Frau sich inzwischen an irgendwas erinnern? Hat sie zugegeben, eine Zuchthäuslerin zu sein?«
»Nein. Sie behauptet nach wie vor, keinerlei Erinnerungen an ihre Vergangenheit zu haben.«
»Kann sie wenigstens zupacken?«
»Ja, wie eine Frau ohne Arme«, versetzte Evan sarkastisch. »Nachdem sie das Essen anbrennen ließ, hab ich ihr tüchtig die Meinung gesagt, worauf sie heulend hinausgerannt ist. Wenigstens hat sie die Wäsche gewaschen. Hat die halbe Nacht dafür gebraucht. Ich hab ihr gesagt, wer nicht arbeitet, bekommt nichts zu essen. Das scheint gewirkt zu haben.«
Gabriel, der sich bereits gefragt hatte, wie die junge Frau auf der Farm zurechtkam, musste ein Lächeln unterdrücken. »Und wann schickst du sie zum Pflügen auf die Felder?«
Evan machte ein finsteres Gesicht, aber er wusste natürlich, dass Gabriel es nicht ernst gemeint hatte. Einen Mundwinkel leicht nach oben gezogen, antwortete er kopfschüttelnd: »Du solltest mal ihre Hände sehen. Alles voller Blasen von den paar Kartoffeln, die sie ausgegraben hat!«
»Irgendwie kann sie einem Leid tun«, meinte Gabriel.
Evan verdrehte die Augen. Obwohl er es niemals zugeben würde, hatte sie auch ihm ein bisschen Leid getan. Ihre Hände hatten wirklich schlimm ausgesehen. »Meine Jane hat die Arbeit mühelos geschafft. Sie hat genauso geschuftet wie ich.«
»Du kannst die beiden nicht miteinander vergleichen, Evan. Sie sind grundverschieden.«
»Ja, so verschieden wie Tag und Nacht«, bekräftigte er. Er entsann sich, wie abgekämpft Jane abends immer war. Zum Schluss war sie so erschöpft gewesen, dass er deswegen ein schlechtes Gewissen gehabt hatte. Als ihr dann sogar die Kraft gefehlt hatte, ihren zweiten Sohn zur Welt zu bringen, waren seine Schuldgefühle ins Unermessliche gestiegen.
»Du musst ihr Zeit geben, Evan. Die Arbeit auf einer Farm ist überall hart, aber hier draußen ist es fast unmöglich, dem Boden etwas abzuringen. Hinzu kommt die Einsamkeit. Du und ich, wir können damit umgehen, die meisten anderen aber nicht.«
»Immer noch besser als im Gefängnis zu sitzen«, gab Evan barsch zurück. Es war das schlechte Gewissen wegen Jane, das ihn so bärbeißig machte. Er wusste es, konnte aber nichts dagegen tun.
»Da hast du wohl Recht. Aber ich könnte mir denken, dass die Frau sich jetzt genauso gefangen vorkommt, auch wenn sie behauptet, sie könne sich nicht erinnern, im Gefängnis gewesen zu sein.«
»Ich glaube, sie lügt, weil sie hofft, sich einen faulen Tag machen zu können. Aber da ist sie schief gewickelt!«
Gabriel fiel auf, wie hart und zynisch Evan seit dem Tod seiner Frau geworden war. Vielleicht war es seine Art, mit dem schmerzlichen Verlust fertig zu werden. »Wie kommt sie mit den Kindern zurecht?«
»Nicht besonders. Sissie und Bess lachen sie aus. Sissie kann’s nicht fassen, dass jemand zu nichts zu gebrauchen ist. Sie erinnert sich noch zu gut daran, was ihre Mutter alles konnte.«
»Womit beschäftigt sich die Frau, solange du weg bist?«
»Als ich ging, hat sie sich ein zweites Mal an der Zubereitung von Haferbrei versucht. Ich hab immer gedacht, das kriegt jeder hin. Irrtum! Gestern haben wir die Hühner mit dem Zeug gefüttert. Apropos – wenn ich nach Hause komme, werde ich ihr sagen, sie soll ein Huhn fürs Abendessen schlachten, aber ich kann mir schon vorstellen, wie sie darauf reagieren wird.« Seufzend schüttelte er den Kopf. »Ich muss sie jeden Morgen wecken, sonst kriegt sie den Hintern nicht hoch. Man könnte fast glauben, sie wäre es gewohnt, lange im Bett zu bleiben. Dabei hat man sie im Gefängnis bestimmt in aller Herrgottsfrühe geweckt. Und weißt du was? Sissie musste ihr sogar zeigen, wie man eine Kuh melkt! Nicht zu fassen! Als sie dann nach einer Ewigkeit hereinkam, brachte sie einen viertel Eimer Milch mit und erzählte, die Kuh hätte den Eimer umgestoßen!«
Gabriel lachte. Er konnte Evans Gereiztheit zwar verstehen, konnte
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