Die Insel der roten Erde Roman
fiel augenblicklich in Ohnmacht.
Als Amelia wieder zu sich kam, lag sie auf der Matratze in ihrer Hütte. Evan, die Kinder und Gabriel standen um sie herum.
»Ich hab doch gesagt, ihr fehlt nichts«, grummelte Evan mürrisch. Milo auf dem Arm, stapfte er zur Tür hinaus. Sissie und Rose, die Jessie an der Hand hielt, folgten ihm.
»Alles in Ordnung?«, fragte Gabriel die junge Frau, die noch immer schreckensbleich war.
»Ja. Was ist passiert?«
»Du bist ohnmächtig geworden«, sagte Molly.
»Kannst du kein Blut sehen?«, fragte Bess und warf Gabriel einen verstohlenen Blick zu. Offenbar stammte die Erklärung von ihm.
Sofort stieg das Bild des kopflosen Huhns in Amelia auf, und sie schauderte vor Entsetzen.
»Das Huhn blutet seit einer halben Stunde aus. Sie werden keinen Tropfen Blut mehr finden«, beruhigte Gabriel sie. »Rupfen und säubern müssen Sie es aber schon noch.« Er wandte sich zum Gehen. In der Tür drehte er sich noch einmal um. »Tauchen Sie es in kochendes Wasser, dann gehen die Federn leichter raus.«
Es war Abend, und Gabriel war oben im Leuchtturm. Die Sonne versank hinter dem Horizont über dem Meer, und allmählich senkte sich die Dämmerung herab. Gabriel hatte die Linsen poliert und das Licht angezündet, als er plötzlich hörte, wie jemand seinen Namen rief.
»Wer ist da?«, rief er die Wendeltreppe hinunter.
»Ich bin’s nur«, rief Amelia hinauf. Sie brachte es nicht über sich, »Sarah Jones« zu sagen, weil sie nach wie vor an ein Missverständnis glaubte. Der Name klang nicht im Mindesten vertraut. »Darf ich heraufkommen?«
Gabriel war sprachlos. Er fragte sich, ob es klug war, mit der jungen Frau allein zu sein, zumal Evan vermutlich nicht wusste, dass sie hier war. »Meinetwegen«, erwiderte er zögernd. »Aber seien Sie vorsichtig!«
Amelia stieg die Wendeltreppe hinauf. Oben angekommen, betrachtete sie staunend die komplizierte Anlage für das Leuchtfeuer.
»Wie sind Sie mit dem Huhn zurechtgekommen?«, fragte Gabriel neugierig.
Sie sah ihn an und fröstelte.
»War es so schlimm?«
»Ich will nie wieder ein Huhn sehen«, entgegnete sie. »Ich habe es so gemacht, wie Sie gesagt haben, und es in kochendes Wasser gehalten, aber die nassen, stinkenden Federn rupfen zu müssen, war ekelhaft!« Wieder schauderte sie. Sie hatte noch immer den Geruch der Federn in der Nase.
»Aber das Huhn hat bestimmt köstlich geschmeckt.«
»Keine Ahnung.«
»Haben Sie’s anbrennen lassen?«
Sie funkelte ihn böse an. »Nein, aber ich habe keinen Bissen davon gegessen.«
Gabriel machte ein verwirrtes Gesicht. »Warum denn nicht?«
»Ich konnte nicht.« Sie wandte sich um und beobachtete, wie der Lichtstrahl übers Meer huschte. Es war ein wunderschönes Bild. »Was für eine herrliche Aussicht«, sagte sie, den Blick auf den Horizont geheftet, der im Schein der letzten Sonnenstrahlen orangerot glühte.
»Ja, nicht wahr? Ich kann mich nicht satt sehen an diesem Anblick.«
»Ich wollte mich noch bei Ihnen bedanken. Sie haben mir das Leben gerettet.« Amelia schaute in die Richtung, in der sie das Wrack der Gazelle vermutete.
»Was ich getan habe, war eine Selbstverständlichkeit«, erwiderte Gabriel. »Für mich gehört es zu meinen Aufgaben als Leuchtturmwärter.«
»Wie oft müssen Sie denn Ihr Leben aufs Spiel setzen, um das anderer Menschen zu retten?« Ihr fiel auf, dass er sich rasiert hatte und sehr gut aussah. Ihr entging auch nicht, wie eng es hier oben war, und diese Enge schuf eine gewisse Intimität.
»Die Gazelle ist das zweite Schiff, das in der Gegend hier gesunken ist, seit ich vor neun Monaten meinen Posten angetreten habe. Als die Montebello damals auf das Riff lief, mussten acht Überlebende gerettet werden.«
»Wieso kommt es trotz des Leuchtsignals immer noch zu solchen Katastrophen?«
»Dafür gibt es mehrere Gründe. Beispielsweise kann ein Schiff in einen schweren Sturm geraten, so wie die Gazelle . Dann beträgt die Sicht nur wenige Meter. Hinzu kommt, dass der Kapitän und die Besatzung mit den Sandbänken und Untiefen möglicherweise nicht vertraut sind. Bei einem Segelschiff können die Segel vom Sturm zerfetzt werden, Maschinen fallen aus, oder das Ruder bricht – dann ist das Schiff manövrierunfähig und wird gegen die Felsen oder ein Riff geschleudert. Zweifellos rettet ein Leuchtturm vielen Menschen das Leben, aber die See ist und bleibt unberechenbar und gefährlich.«
Amelia kam plötzlich ein Gedanke. Sie konnte sich an
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