Die Insel der roten Erde Roman
Brise wehte, doch Sarah nahm es kaum wahr, zu sehr genoss sie Lance’ Nähe. Ein männlicher Duft umgab ihn, und er war zweifellos der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. Sein blendendes Aussehen verschlug ihr den Atem, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals.
Sooft sie darüber nachdachte, wie viel Glück sie hatte und wie gut es ihr ging, drängte sich unweigerlich die Erinnerung an das Gefängnis auf, in dem sie noch bis vor wenigen Wochen einer trostlosen Zukunft entgegengeblickt hatte. Sarah bemühte sich verzweifelt, diese Gedanken zu verjagen. Ein einziges falsches Wort könnte sie schnell wieder ins Zuchthaus bringen. Sie musste stets auf der Hut sein; nicht eine Sekunde durfte ihre Wachsamkeit nachlassen. Dennoch genoss sie ihre Freiheit in vollen Zügen. Nachdem sie jahrelang nur stickige Gefängnisluft geatmet hatte, sog sie die frische Seeluft tief in die Lungen und hielt das Gesicht in die Sonne.
Lance fand, sie benahm sich merkwürdig, doch er sagte nichts. Er fuhr mit ihr nach Beare Point hinaus, wo sie aus dem Buggy stiegen und über die Mole spazierten. Fischer und Matrosen fütterten die Pelikane mit Fischabfällen. Einige der großen Vögel waren recht zahm, und Sarah lachte über ihre Kapriolen.
»Wir müssen mal abends herkommen, dann kannst du die Pinguine beobachten, wenn sie ihre Schlafplätze aufsuchen«, sagte Lance. »Das ist ein faszinierendes Schauspiel, und …« Er hielt abrupt inne und schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Wie dumm von mir. Du hast ja ganz in der Nähe der Küste gewohnt, nicht wahr? Da sind Pinguine bestimmt ein gewohnter Anblick für dich.«
»Ehrlich gesagt habe ich noch nie welche aus der Nähe gesehen.« Sarah wollte sich die Gelegenheit eines weiteren Ausflugs zu zweit mit Lance nicht entgehen lassen. »In Hobart haben sie mich nie interessiert, aber hier würde ich sie gern einmal beobachten.«
»Fein. Dann tun wir das demnächst.«
Ihr fiel auf, dass Lance sie mit einem sonderbaren Ausdruck musterte. »Was ist?«, fragte sie, und ihr Herz pochte heftig.
»Nichts.« Ihre Unbekümmertheit erstaunte ihn. Entweder verstand sie sich sehr gut darauf, ihre Trauer über den Tod ihrer Angehörigen zu verbergen, oder sie hatte den Verlust erstaunlich schnell verkraftet. Er hoffte nur, sie verdrängte ihren Kummer nicht, sonst würde sie früher oder später einen Zusammenbruch erleiden.
Als sie wieder in den Buggy stiegen, wollte Sarah wissen, ob es viele ledige Frauen in der Stadt gab.
Die Frage traf Lance nach den Gedanken, die ihm gerade durch den Kopf gegangen waren, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. »Nein, nicht viele«, antwortete er verblüfft.
»Bist du deshalb noch Junggeselle?«
Ihre direkte Art brachte ihn beinahe aus der Fassung. »Nein. Das heißt … ja, kann schon sein.« Er wusste nicht recht, was er sagen sollte. »Ich habe eine verantwortungsvolle Stelle, und mein Beruf hält mich ziemlich auf Trab. Da bleibt nicht viel Zeit, ans Heiraten zu denken.«
»Aber du gehst doch sicher mit der einen oder anderen aus«, beharrte sie.
Ihre Aufdringlichkeit wurde ihm unangenehm. »Schon, aber es gibt niemand Bestimmtes.«
Also wartete nirgendwo eine potenzielle Verlobte auf ihn. Das war genau die Antwort, die Sarah sich erhofft hatte. Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf ihr Gesicht.
Lance, dem ihre Reaktion nicht entgangen war, fühlte Unbehagen in sich aufsteigen. »Und du?«, fragte er, um die Unterhaltung in andere Bahnen zu lenken. »Gibt es in Hobart jemanden, der auf dich wartet?«
»Nein, niemanden«, erwiderte Sarah schnell.
Er erkannte an dem Funkeln in ihren Augen, dass sie seine Frage völlig falsch verstanden hatte. »Du wirst sicher nach Hobart Town zurückkehren wollen, wenn du den schmerzlichen Verlust verwunden hast«, sagte er in höflich distanziertem Tonfall.
Sarah bemerkte die Veränderung in ihm. Sie fragte sich, ob sie ihn irgendwie gekränkt hatte.
»Ich weiß noch nicht genau«, antwortete sie zögernd. »Ich muss vieles bedenken. Außerdem werden zahlreiche Pflichten auf mich zukommen, sobald ich mein Erbe angetreten habe«, fügte sie vielsagend hinzu. Sarah hoffte, die Aussicht auf das beträchtliche Vermögen, das ihr zufiele, würde sie für Lance anziehender machen. »Du arbeitest in einer Bank. Da weißt du sicher, was ich meine.«
»Natürlich.« Lance blickte unverwandt nach vorn. Er konnte es kaum fassen, dass sie ihren Reichtum ins Spiel brachte.
»Dein Vater hat mir bereits seine Hilfe
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