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Die Insel der roten Erde Roman

Titel: Die Insel der roten Erde Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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Sie hatte schreckliche Sehnsucht nach ihrer Familie. Vor allem ihre Schwestern und ihre Mutter fehlten ihr. Sie konnte es kaum erwarten, sie wiederzusehen.
    Amelia antwortete nicht. Sie wollte nicht daran denken; es schmerzte viel zu sehr.
    »Können Sie sich auch nicht mehr an die Zeit im Gefängnis erinnern?« Carlotta wusste, wie qualvoll diese Frage sein musste, aber sie konnte nicht anders.
    Amelia richtete sich auf und stemmte die Hände in die Seiten. »Ich glaube nicht, dass ich Sarah Jones bin«, entgegnete sie scharf.
    Ihre Heftigkeit überraschte Carlotta. So viel Temperament hätte sie der Zuchthäuslerin gar nicht zugetraut. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen.«
    Nun war es Amelia, die ein verdutztes Gesicht machte. »Ich wüsste nicht, wie Sie mir helfen könnten.«
    »Ich könnte Ihnen eine Freundin sein, vero?«
    Das Angebot brachte Amelia sichtlich aus der Fassung.
    »Wir sind die beiden einzigen Frauen hier«, fuhr Carlotta schmeichelnd fort. »Deshalb sollten wir uns verbünden wie zwei Schwestern. Finden Sie nicht auch?«
    »Vielleicht haben Sie Recht«, sagte Amelia zögernd. Sie hätte eine gute Freundin brauchen können, aber sie traute der Italienerin nicht über den Weg. Ihr Vorschlag, wie Schwestern zueinander zu sein, ging denn doch zu weit. Offensichtlich sehr zufrieden mit sich, wandte Carlotta sich lächelnd zum Gehen. Amelia schaute ihr nach. Welche Motive Carlotta auch haben mochte – sie hatten mit Gabriel zu tun, davon war sie fest überzeugt.
     
    Evan und die Kinder gingen nach dem Abendessen meist frühzeitig schlafen. Amelia sah sie erst am anderen Tag wieder. Da es sonst nichts für sie zu tun gab, zog sie sich in ihre Hütte zurück und grübelte über ihr Schicksal nach, was normalerweise dazu führte, dass sie wenig und unruhig schlief. Nach Carlottas Besuch war ihre innere Unruhe an diesem Abend noch stärker als sonst. Sie wusste, sie würde keinen Schlaf finden, und so beschloss sie, sich heimlich auf den Weg zum Leuchtturm zu machen. Sie hoffte inständig, dass Gabriel die erste Wache hatte. Sie musste unbedingt mit jemandem reden, dem sie vertrauen konnte.
    Im Leuchtturm blieb sie am Fuß der Wendeltreppe aus Jarrah-Holz stehen und rief hinauf: »Sind Sie da, Gabriel?« Ihre Stimme hallte in dem Turm wider, der aus zweitausend Granitblöcken erbaut war, die von der Insel stammten. Sie solle heraufkommen, antwortete Gabriel. Es war ein mühsamer Aufstieg, doch der Blick, der sich ihr bot, verschlug ihr den Atem. Die Sonne versank als glühender Feuerball im Meer, und am Himmel schichteten sich Lagen schimmernder Orange-, Rot-, Gold- und Lilatöne.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte Gabriel. Er war froh, dass er offenbar vergessen hatte, die Tür unten abzuschließen. Er kürzte gerade die Dochte in der Laterne; das tat er alle vier Stunden. Das Leuchtfeuer wurde durch rotierende Parabolspiegel erzeugt, die von einem Motor bewegt wurden, der seinerseits von einem Gewicht angetrieben wurde. Die Linse wog drei Tonnen und schwamm in einer Quecksilberwanne, um die Reibung beim Drehen zu verringern. In Bewegung gebracht wurde sie von einem einhundertdreißig Pfund schweren Gewicht. Das Ganze funktionierte nach einem ähnlichen Prinzip wie eine Standuhr.
    »Ich habe Angst, die Augen zu schließen«, gestand Amelia.
    Gabriel nickte; er wusste, was sie meinte. Am Vortag, als sie die Leiche gefunden hatten, hatte er die zweite Wache von Mitternacht bis zum Morgengrauen gehabt. Nachdem er zur Farm gegangen war, um nach der jungen Frau zu sehen, hatte er sich hingelegt und zu schlafen versucht. Doch er hatte kein Auge zugemacht. In dieser Nacht war seine Schicht um Mitternacht zu Ende. Er hoffte, den versäumten Schlaf dann nachholen zu können. »Die Schönheit der Natur schenkt der Seele Frieden, wenn das Leben allzu viele Schrecken für uns bereithält«, sagte er, den Blick himmelwärts gerichtet. Er war kein besonders frommer Mensch, aber manchmal brachte es sein Beruf mit sich, dass er über eine höhere Macht, einen göttlichen Plan nachdachte. Der erhabene Ausblick, der sich ihm vom Turm aus bot, war mit Sicherheit eine der schönsten Seiten seines Berufs als Leuchtturmwärter. »Die Natur hilft mir, Leben und Tod im richtigen Verhältnis zu sehen«, fuhr er fort. Dass er selbst tags zuvor keinen Frieden gefunden hatte, weil er sich zu sehr um sie gesorgt hatte, verschwieg er ihr.
    Über das Meer im Süden und das Land im Norden hatte sich bereits Dunkelheit gebreitet;

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