Die Insel der roten Erde Roman
Nächte geben wie diese – ganz bestimmt, dachte sie.
10
»Ich weiß nicht, was in letzter Zeit mit Sissie los ist«, sagte Evan nach dem Frühstück. »Sie ist so reizbar.«
»Das liegt sicher am Alter«, meinte Amelia. Sie fegte die Asche aus dem Herd und wirbelte graue Staubwolken auf.
»Was hat denn ihr Alter damit zu tun?«, brauste Evan auf. Er konnte nicht mit ansehen, wie ungeschickt sie sich anstellte, das machte ihn rasend. Was war sie nur für eine Nichtskönnerin, verglichen mit seiner geliebten Jane!
Amelia drehte sich zu ihm um. Ihre Wangen und ihre Nase waren rußverschmiert. Evan saß am Tisch und schaukelte Milo auf den Knien. Sie wünschte, er würde seinen Töchtern nur halb so viel Aufmerksamkeit schenken wie seinem Sohn.
»Mädchen werden launisch, wenn sie zur Frau heranwachsen. Das gehört zu ihrer Entwicklung. Das Gute daran ist, dass es vorbeigeht. Aber bis es so weit ist, hilft nur Geduld.«
»Woher weißt du das alles? Hast du jüngere Schwestern?«
»Ich … weiß nicht.« So sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte sich nicht an ihre Familie erinnern. »Aber wo wir gerade von den Mädchen sprechen«, fuhr sie fort. »Ihre Töchter zeigen nicht das geringste Interesse am Lernen. Sie könnten sie ruhig ein wenig ermuntern, das würde nicht schaden.«
»Wozu? Es reicht, wenn sie später einmal wissen, wie sie ihre Ehemänner glücklich machen. Was nützt es ihnen, wenn sie wissen, wie die Hauptstadt von Amerika oder England heißt?«
Amelia funkelte ihn zornig an. Bei dieser Einstellung war es nicht verwunderlich, dass die Mädchen keine Lust zum Lernen hatten. »Wissen Sie es denn?«
Evan starrte sie verblüfft an. »Nein, und ich kann auch nicht behaupten, dass es sich nachteilig auf mein Leben ausgewirkt hätte. Du solltest meinen Mädchen lieber Kochen und Nähen beibringen. Damit könnten sie wenigstens etwas anfangen. Aber auf diesem Gebiet brauchst du ja selbst Unterricht!«
Amelia unterdrückte ihren Zorn. Wozu sich mit Evan streiten? Genauso gut könnte sie gegen eine Wand reden. Sie schwieg einen Augenblick. »Ich wünschte, wir hätten ein bisschen Musik«, sagte sie unvermittelt. Aus irgendeinem Grund sehnte sie sich danach.
»Musik? Wozu denn das?«
»Musik ist etwas Wunderbares. Sie würde die Kinder vielleicht dazu anregen, ihren Horizont zu erweitern, oder ihr Interesse für die Kunst wecken.«
Evan klappte der Unterkiefer herunter. »Für die Kunst? Hast du den Verstand verloren, Weib?«
»Nein, keineswegs. Ein bisschen Kultur hat noch keinem geschadet«, versetzte sie säuerlich. Seine Engstirnigkeit ging ihr allmählich auf die Nerven.
»Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest – es gibt hier im ganzen Umkreis weder ein Museum noch einen Konzertsaal.«
»Man muss nicht in einen Konzertsaal gehen, um Musik zu hören. Ich bin sicher, in vielen Haushalten gibt es ein Musikinstrument. Sie sollten Ihre Kinder ermutigen, ein Instrument zu erlernen. Musik beruhigt das Gemüt, und Ihnen könnte ein bisschen mehr Gelassenheit weiß Gott nicht schaden!«
Weder Amelia noch Evan hatten bemerkt, dass Gabriel in der Tür stand. Dieser hatte genug gehört, um zu verstehen, weshalb Evan aussah, als würde er vor Wut gleich in die Luft gehen. Gabriel räusperte sich geräuschvoll. »Hat hier gerade jemand von Musik gesprochen?«
Amelia fuhr herum. Ihr Herz schlug schneller. Wie lange mochte er schon dagestanden haben? »Ich habe gerade zu Evan gesagt, es würde den Kindern gut tun, wenn sie Musik hören könnten.«
Evan hatte die Lippen fest zusammengepresst.
Gabriel wusste, dass er an Jane dachte. Er war manchmal abends hier gewesen, wenn sie die Kinder zu Bett gebracht und in den Schlaf gesungen hatte. Evan hatte ihr mit verklärter Miene zugehört. Obwohl er es nie zugeben würde, hatte ihr Gesang tatsächlich sein Gemüt beruhigt.
»Im Lagerraum steht ein mechanisches Klavier«, sagte er schließlich zögernd.
»Wirklich?«, fragte Amelia aufgeregt.
»Ja, es gehört der Frau des früheren Leuchtturmwärters. Eigentlich wollten sie es schon vor Monaten abholen. Sie haben bestimmt nichts dagegen, wenn Sie es sich ausborgen.«
»Das wäre wunderbar!« Amelia rief die Mädchen, die in ihrem Zimmer waren. »Hättet ihr Lust, ein bisschen Musik zu hören?«
»Musik?« Die Kinder schauten Amelia neugierig an. Sie hatten noch nie Musik gehört, konnten sich aber an die Lieder erinnern, die ihre Mutter ihnen vorgesungen
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