Die Insel der roten Erde Roman
mitgekommen«, meinte Evan.
Amelia verdrehte die Augen. Sie sah sich schon die Schweinchen füttern und den Stall ausmisten.
Gabriel lächelte ihr zu. »Tja, ich wollte euch nur an das Versorgungsschiff erinnern. Ich muss jetzt wieder zurück und schon mal anfangen, die Hauswände abzuwaschen, weil morgen auch der Kalk für einen neuen Anstrich kommen soll.«
»Edgar wird Ihnen helfen, vero?« , sagte Carlotta, der nicht entgangen war, wie er Amelia angelächelt hatte.
»Das schaffe ich schon allein. Edgar hat genug zu tun«, erwiderte Gabriel verdrossen. Wie kam sie dazu, über ihren Mann zu verfügen?
Amelia folgte ihm unter dem Vorwand nach draußen, ihn noch etwas wegen des Gemüsegartens fragen zu wollen. Carlotta stand unter der Tür und schaute ihnen nach.
»Welche Schicht haben Sie heute Nacht?«, flüsterte Amelia.
»Die erste. Wollten Sie vorbeikommen?«
Sie blickte scheu zu ihm auf. »Wenn ich darf.«
»Ich würde mich freuen.« Ein Ausdruck von Wärme lag in seinen Augen.
»Dann komme ich gern. Aber erst, wenn es dunkel ist. Dann verpasse ich zwar den wunderschönen Sonnenuntergang, aber ich will nicht, dass Carlotta mich sieht.«
Er nickte. »Seien Sie vorsichtig. Und schließen Sie die Tür hinter sich ab.«
Er ging davon, und Amelia blickte ihm nach. Der Gedanke, mit ihm allein sein zu können, ließ ihr Herz schneller schlagen. Es war eine Qual, bei seinen Besuchen ständig von den Kindern, Evan und Carlotta umgeben zu sein und ihm nie ihre Gedanken und Gefühle anvertrauen zu können. Sie wagte kaum, ihn anzusehen, weil sie fürchtete, jeder könnte ihr vom Gesicht ablesen, was sie für ihn empfand.
»Er ist sehr attraktiv, vero?«
Amelia fuhr zusammen. Sie hatte die Italienerin nicht kommen hören und drehte sich um. »Lassen Sie das bloß nicht Ihren Mann hören«, erwiderte sie kühl.
Carlottas Augen wurden schmal. »Man könnte Sie nach Van-Diemens-Land zurückschicken, wenn die Gefängnisbehörden erführen, dass Sie eine Beziehung haben, vero?«
»Das wird nicht geschehen, weil ich keine Beziehung zu einem Mann habe«, entgegnete Amelia.
»Sind Sie sicher?«
»Allerdings«, gab Amelia zurück und ließ die Italienerin einfach stehen.
Plötzlich packte sie die Angst. Wenn Carlotta sie allein mit Gabriel erwischte, würde sie es Evan unverzüglich wissen lassen. Das konnte sie nicht riskieren. So sehr sie die Arbeit auf der Farm auch verabscheute – weggeschickt zu werden, wäre noch viel schlimmer. Sie brauchte Zeit, ihr Gedächtnis wiederzufinden. Sobald sie sich an etwas erinnern könnte, das ihr herauszufinden half, wer sie wirklich war, würde sie sich treffen können, mit wem sie wollte. Sie würde lieben können, wen sie wollte. Gabriel zum Beispiel.
Gabriel sah abermals auf die Uhr. Kurz vor Mitternacht. Amelia war nicht gekommen, und er machte sich Sorgen. Hatte Evan sie abgefangen, als sie die Farm verlassen wollte? War Carlotta zu Besuch gekommen? Unten wurde die Tür zugeschlagen, und ihm stockte das Herz. Dann aber hörte er die schweren Schritte auf der Treppe und wusste, es war Edgar, der seine Schicht antrat.
Als Gabriel den Leuchtturm verließ, sah er Licht bei den Dixons brennen. Anscheinend war Carlotta noch wach. Eigentlich hatte er vorgehabt, zur Farm zu gehen, um nach Amelia zu sehen, aber da Carlotta noch auf war, erschien ihm das zu gefährlich. Die Italienerin bedeutete Ärger, daran konnte es keinen Zweifel geben. Fraglos wurde er mit ihr fertig, aber er durfte nicht riskieren, dass sie Amelia in Schwierigkeiten brachte. Schweren Herzens ging er zu seinem Haus hinüber. Er wusste, an Schlaf war nicht zu denken.
Am Tag darauf machte Gabriel sich noch vor Sonnenaufgang auf den Weg zur Finnlay-Farm.
Auch Amelia hatte in dieser Nacht keinen Schlaf gefunden. Als sie aus ihrer Hütte trat, hörte sie jemanden leise ihren Namen rufen.
»Gabriel! Was machen Sie denn schon so früh hier?« Amelia warf einen Blick zum Haupthaus hinüber. Dort brannte Licht; Evan war also schon aufgestanden, um Feuer zu machen.
»Warum sind Sie gestern Abend nicht gekommen?«, fragte er.
»Wegen Carlotta. Bevor sie gestern ging, hat sie mir gedroht. Da wollte ich das Risiko nicht eingehen.«
»So etwas dachte ich mir schon«, knurrte Gabriel und stieß einen unterdrückten Fluch aus.
»Es tut mir Leid. Ich hatte mich wirklich darauf gefreut, mich einmal ungestört mit Ihnen unterhalten zu können.«
»Wir werden schon einen Weg finden«, meinte Gabriel.
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