Die Insel der roten Mangroven
Gekicher geflissentlich überhörend. Sie würde sich für den kommenden Morgen etwas ausdenken müssen. Nicht, dass Amali noch Leon mit der Angelegenheit neckte.
Jetzt dachte Bonnie allerdings nur noch an Jefe und das Treffen in der Bucht. Sie legte die halbe Meile bis zum Strand im Laufschritt zurück und schob sich erst, als sie die Bucht schon fast erreicht hatte, im Schatten der Mangroven unauffällig näher. Wenn Jefe seine Massai-Frau bei sich hatte oder womöglich noch bedrohlicher wirkende andere Leute, wollte sie das wenigstens wissen. Dass sie sich noch davonschleichen konnte, glaubte sie allerdings nicht. Jefe hatte sie sicher bereits kommen hören – das Leben als Pirat hatte seine Sinne geschärft. Auch Bonnie selbst nahm bei Nacht leiseste Geräusche wahr und erkannte die kleinste Bewegung im Dunkeln. So entdeckte sie Jefe auch sehr bald im Schatten eines Felsens. Er schien allein zu sein, zumindest war kein Mensch bei ihm. Hinter ihm lag oder stand allerdings etwas Kleines … War es ein Schaf, eine Ziege oder ein großer Hund? Es bewegte sich nicht.
Bonnie trat aus dem Mangrovendickicht, und Jefe kam gleich auf sie zu. »Ich wusste, dass du kommst!«, sagte er und nahm sie etwas linkisch in die Arme.
Früher hatte Bonnie stets versucht, sich in diese seltenen Umarmungen hineinzuschmiegen, und ihnen später stundenlang nachgeträumt, heute machte sie sich steif. »Was willst du, und wer schickt dich?«, fragte sie steinern. »Wenn es um das Kind geht …«
Jefe schüttelte den Kopf. »Darum geht’s nicht. Jedenfalls jetzt nicht, und später hat es sich vielleicht erübrigt. Bonnie, es geht um Macandal. Wir wollen ihn befreien.«
Bonnie hob die Brauen. »Gut«, sagte sie. »Ich meine, ich finde es nicht gut, was er getan hat – und was ihr tun wolltet, war ungeheuerlich. Aber dass sie ihn lebendig verbrennen wollen, finde ich auch nicht gut. Also von mir aus … die Gendarmerie ist allerdings hervorragend bewacht. Sie patrouillieren draußen, zwei Bewaffnete stehen ständig vor den Toren. Besuch erlauben sie auch nicht. Wenn du das also wissen wolltest …«
Jefe machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das wissen wir längst. Wir haben unsere Spione. In die Gendarmerie ist nicht reinzukommen. Also werden wir es bei der Hinrichtung tun, wenn sie ihn rausholen.«
»Auf dem Weg zum Scheiterhaufen?«, erkundigte sich Bonnie und runzelte die Stirn. »Das halte ich auch nicht für machbar. Ihr wisst wahrscheinlich, dass sie Sklaven aus der ganzen Kolonie herholen, damit sie sich das ansehen, und garantiert bieten sie die halbe französische Armee auf, um sie zu bewachen.«
Jefe nickte. »Wissen wir auch. Sie werden ihn in Ketten zum Hinrichtungsplatz schleppen, eskortiert von sechs Männern. Und die Straßen säumen die Militärs. Die einzige Möglichkeit für ihn zu entkommen ist während der Hinrichtung. Wenn der Scheiterhaufen bereits brennt.«
»Aber dann brennt er doch auch!«, wandte Bonnie ein.
Jefe verzog das Gesicht. »Ohne Verletzungen wird es nicht gehen, doch wir hoffen, dass er überlebt. Pass auf, Bonnie, die Henkersknechte, die alles vorbereiten und ihn dann auch festbinden werden, sind Mulatten. Sie sympathisieren mit uns. Und nachdem ein bisschen Geld den Besitzer gewechselt hat, sind sie sogar ganz auf unserer Seite. Sie werden für den Pfahl verrottetes Holz nehmen. Es wird einfach sein, ihn abzubrechen. Und für die Stricke Hanf – trocken, dünn, leicht brennbar. Einer wird zudem versuchen, Macandals Kleidung mit Wasser zu tränken – sie schütten Öl auf den Scheiterhaufen, damit es schneller brennt, und er wird so tun, als überschütte er damit auch den Delinquenten. Sobald sich dann der Holzstoß entzündet, die Flammen auflodern und sich hoffentlich auch ordentlich Rauch entwickelt, kann er fliehen.«
Bonnie runzelte die Stirn. »Mitten durch die Stadt? Mit sicher schweren Brandwunden? Aber wieso erzählst du mir das überhaupt alles? Was soll ich dabei tun? Ich habe mit der Hinrichtung nichts zu schaffen, wir werden nicht mal hingehen. In Dr. Dufresnes Haushalt arbeiten nur noch freie Schwarze. Uns kann keiner zwingen.«
Die letzten Sätze sagte sie fast stolz. Sie hatte am Tag zuvor noch mit Leon und den anderen auf ihrer aller Freiheit angestoßen.
Jefe blickte gequält. »Nun, wir können dich natürlich auch nicht zwingen, Bonnie … Nur … nur bitten … Schau mal!«
Er zog rasch die Decke weg, mit der das undefinierbare Ding bedeckt war, das
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