Die Insel der roten Mangroven
waren am Tag zuvor schon aus Nouveau Brissac und Roche aux Brumes angereist – Gérôme mit Frau und Kind, die er auch zu dem Spektakel mitzunehmen gedachte. Victor konnte seinen Abscheu darüber kaum verbergen und war froh, dass die Dufresnes nicht in seinem Haus, sondern im Gouverneurspalast nächtigten. Am Vorabend der Hinrichtung gab der Gouverneur einen Empfang für sie – schließlich verdankte Saint-Domingue es ja ihrer Wachsamkeit, dass Macandal gefangen werden konnte. Das zumindest wurde in den mannigfaltigen Festreden immer wieder betont. Victor war erleichtert, dass Deirdre schon früh eine Unpässlichkeit vortäuschte – oder wirklich litt, sie schien blass unter der Schminke – und zum Aufbruch drängte.
Nun beobachteten die jungen Dufresnes von ihrem Balkon aus den Aufmarsch der Sklaven, viele von ihnen wurden durch ihre Straße getrieben, und alle wirkten resigniert, erschöpft und verängstigt. Deirdre wurde bei ihrem Anblick schon wieder schlecht, Victor konnte ihre Gefühle nachvollziehen. Schon bei dem Gedanken, sich später diese Hinrichtung ansehen zu müssen, schüttelte es ihn. Immerhin musste er sich dem Spektakel nicht allein stellen. Antoine Montand, der junge Reeder, mit dessen Familie die Dufresnes sich angefreundet hatten, musste aus gesellschaftlichen Gründen ebenso daran teilnehmen wie Frédéric de Mure in seiner Stellung als Assistent des Gouverneurs. Beiden grauste es davor wie Victor.
»Ich denke, wir werden danach noch in eine Hafenschänke gehen«, sagte Victor, als er sich schließlich von Deirdre verabschiedete. »Das Grauen hinunterspülen … Also sorge dich nicht, Liebste, wenn ich später komme.«
Deirdre nickte. Sie war erneut blass und hatte sich an diesem Morgen schon zweimal übergeben müssen. Neben ihrem Abscheu vor der Hinrichtung plagte sie die Sorge um ihren Halbbruder Jefe. Wer wusste, was die Rebellen sich ausdenken mochten, um Macandal vielleicht doch noch zu befreien? Der Gouverneur, das Militär und die Gendarmerie befürchteten jedenfalls einen Angriff auf die Eskorte des Delinquenten und würden ihn entsprechend scharf bewachen lassen.
Bonnie traf ihre Vorbereitungen heimlich – und es war dieses Mal nicht einfach, eine Ausrede zu erfinden, um Namelok in Amalis Obhut zu geben. Alle Schwarzen in Saint-Domingue rückten so nah wie möglich zusammen, um den Schrecken auszusperren. Sabina und Leon planten eine gemeinsame Gebetsstunde zur Zeit der Hinrichtung. Deirdre würde zwar Madeleine Montand und Suzanne de Mure empfangen, und die Diener mussten servieren, aber den Frauen würde der Sinn wahrscheinlich auch eher nach stillem Gebet als nach einer lebhaften Runde am Kaffeetisch stehen. Sabina plante kühn, die Damen einfach dazuzubitten.
Bonnie fiel kein Grund ein, sich von dem Treffen auszuschließen, dann beschloss sie, sich einfach ohne jede Begründung abzusetzen. Namelok ließ sie bei Nafia wie jeden Nachmittag. Wenn sie nicht zum Gebet kam, würde sich schon irgendjemand um die Kleine kümmern.
Bonnie schlich sich erst mal in den Wald, um sich in Ruhe erneut in Bobbie zu verwandeln. Sie hatte sich schon Tage vorher Männerkleidung gekauft, die Baumwollhosen der Sklaven und ein kariertes Hemd, wie es die meisten Mulatten im Hafen trugen. Als Bonnie es jetzt überzog, bemerkte sie verwundert, dass ihre Brüste größer geworden waren. Die bessere Ernährung und die Ruhe im Hause Dufresne hatten tatsächlich dafür gesorgt, dass sie nicht nur zunahm, sondern auch weibliche Formen entwickelte. Eigentlich war das erfreulich, aber jetzt störte es. Bonnie band ein Tuch straff um ihre Brüste. Ja, so war es besser. Ihre runderen Hüften fielen unter den weiten Hosen nicht auf. Blieb das Haar. Bonnie mochte es auf keinen Fall wieder abschneiden. Sie band es im Nacken zusammen und versteckte es unter einer Mütze, die, wie sie hoffte, auch ihre durchbohrten Ohrläppchen verbarg. In der letzten Zeit liebte sie es, Schmuck zu tragen, schon weil sie wusste, dass es Leon gefiel. Bonnie machte sich Sorgen, ob diese Tarnung ausreichte, aber sie kämpfte die Zweifel entschlossen nieder. Für ein paar Stunden musste es gehen. Es war unwahrscheinlich, dass an diesem Tag irgendjemand prüfende Blicke auf einen schwarzen Jungen warf, und Jefes Komplizen waren ja wohl eingeweiht.
Schließlich wanderte »Bobbie« wie ein beliebiger Schaulustiger zum Hinrichtungsplatz. Bonnie mahnte sich, darauf zu achten, sich wie ein Mann zu bewegen – sie hatte Bobbies
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