Die Insel der roten Mangroven
jungen Frau, die stoisch auf den Fußboden starrte. Sie erinnerte ihn an jemanden, er brachte sie aber nicht mit der geschminkten, leicht bekleideten Frau in Verbindung, die Bonnie ihr Baby gegeben hatte.
»Ich bin Arzt«, sagte er kurz, »doch ich kann keine Wunder tun …«
Er versagte sich die Bemerkung, dass der Schwarze Messias da schon selbst tätig werden müsste, Macandal ließ ihn aber auch gar nicht weiterreden.
»Ich … ich kann … Wunder tun! Ich … ich opfere mich hier für … für mein Volk, wie … wie der erste Messias es auch getan hat …«
Victor seufzte. Er hatte schon das Opfer des Jesus von Nazareth nie so recht verstanden. Und was der Tod von Macandal für die Sklaven bedeuten sollte, begriff er erst recht nicht. Caesar schien es ähnlich zu gehen. Die Blicke der beiden Männer trafen sich kurz.
»Aber ich …. ich werde wiederkommen!«, wiederholte Macandal. Seine Stimme wurde kräftiger, das Schmerzmittel wirkte bereits.
Mireille, die sich neben der Liege niedergelassen hatte und sanft das Gesicht ihres Mannes streichelte, nickte. »Ja, Liebster«, sagte sie freundlich. »Du wirst als Wolf wiederkommen und unsere Feinde zerreißen. Als Schlange, um sie zu vergiften …«
Macandal schüttelte so heftig den Kopf, dass Victor schon einen neuen Krampf befürchtete. »Nein … nein … werde ich … werde ich nicht … ein Wolf … ein Wolf kann vielleicht zehn töten, und … eine Schlange kann vielleicht zwanzig töten … aber ich …«, sein Blick wurde klarer, er sah seine Anhänger an, bevor er weitersprach und dabei mit leuchtenden Augen in die Zukunft blickte, »… ich aber werde als Insekt wiederkommen, als Moskito, als Stechmücke … ich werde Legion sein … Tausende töten und Abertausende … Wir werden frei sein, alle werden wir frei sein. Ich bin der Geist …«
»Du bist der Geist!«, wiederholte einer der Männer, und dann sprachen alle durcheinander. »Du bist der Geist. Du bist die Rettung, du bist der Messias, du bist gottgesandt …«
Die Männer und Frauen wiederholten es wieder und wieder – und ein Lächeln erschien auf dem Gesicht Macandals, als er endlich die Augen schloss.
»Ist er tot?«, fragte Jefe heiser.
Victor schüttelte den Kopf. »Nein, er schläft. Vielleichtwird er noch einmal aufwachen. Aber so … so ist es besser für ihn.«
Er atmete tief durch. Macandals Vision war gespenstisch gewesen, und ebenso die Reaktion seiner Anhänger. Selbst er, Victor, hatte sich von seiner Stimme und seiner Überzeugungskraft berührt gefühlt. Dabei waren die Worte des Sterbenden unsinnig. Mückenstiche brachten niemandem den Tod.
Macandal starb in der vierten Stunde des neuen Tages. Mireille hatte gehofft, er werde den Sonnenaufgang noch sehen können, aber dann ging es doch schneller zu Ende. Victor hätte dem Rebellen ein noch rascheres Ende gewünscht. Der Schwarze Messias kam noch zweimal zu Bewusstsein und wiederholte seine Visionen, seine Parolen, schwor seine Anhänger erneut auf den Kampf ein. Ganz zuletzt wandte er sich an Jefe.
»Du wirst weiterkämpfen, Bruder«, stöhnte er, »bis wir frei sind?«
Jefe sah ihm in die Augen wie damals, als der Geist das erste Mal das Wort an ihn gerichtet hatte. »Ich warte nicht gern«, sagte er.
Macandals Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Kein … guter Mann … wartet gern«, flüsterte er. Dann schloss er die Augen.
»Doch die Rache ist ein Gericht, das man kalt genießt!«, wiederholte Jefe die erste Botschaft, die der Geist damals für ihn gehabt hatte. »Ist er … tot, Doktor?«
Victor fühlte den Puls Macandals. »Ja«, sagte er ruhig. »Jetzt ist er tot. Tut mir leid. Mein … mein aufrichtiges Beileid, Madame Macandal.«
Er wandte sich an Mireille. Die schien ihn allerdings nicht zu hören. Sie drückte den Kopf ihres Mannes schluchzend an sich.
»Und was jetzt?«, fragte einer der Maroons und sah Jefe dabei an.
Der straffte sich. In den letzten Stunden hatte er Zeit gehabt, nachzudenken. »Wir erzählen niemandem davon«, sagte er mit klarer Stimme. »Niemandem. Jeder von uns muss sich verpflichten zu schweigen. Auch gegenüber den Leuten im Lager.«
»Schweigen?«, fragte der andere Maroon. »Über Tod von Geist? Warum? Und wie können wir geheim halten? Leute aus Lager werden fragen, wo er ist.«
Jefe schürzte die Lippen. »Wir sahen ihn verschwinden«, erklärte er. »Er sprang vom Scheiterhaufen, wir wollten ihn auffangen, ihn wegbringen, aber er
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