Die Insel der roten Mangroven
verschwand. Er … er wurde entrückt. Zu Gott oder den Geistern … wer weiß das? Doch er lebt. Er wacht über uns, wo immer er auch ist. Und er wird wiederkommen …«
Der erste der Maroons verstand, er grinste. »Wir machen Leute Mut!«, sagte er.
Jefe nickte. »Wir werden weiterkämpfen! Wir geben nicht auf. Wir sind jetzt der Geist!«
Die Männer jubelten, und in den Augen der jungen, schlanken Frau stand unverhohlene Anbetung. Victor nahm den Toten sanft aus den Armen der wimmernden Mireille und deckte das Leintuch über sein Gesicht.
»Was tun mit Leiche?«, fragte der erste der Maroons.
Der zweite wies auf Victor. »Was tun mit Doktor?«, erkundigte er sich. »Er bestimmt nicht schweigen.« Der Mann zog sein Messer.
Jefe riss es ihm aus der Hand. »Sei nicht dumm, Thomas, natürlich wird er schweigen. Oder glaubst du, er rennt los und erzählt, er habe Macandal behandelt? Und wenn er doch redet – er ist weiß. Niemand wird ihm glauben.«
Victor atmete auf, als der Mann das Messer wegsteckte.
»Er kann gehen?«, fragte er Jefe.
Jefe nickte. »Sicher.« Er verbeugte sich förmlich vor Victor. »Ich danke Ihnen sehr, Doktor. Das war … sehr gütig von Ihnen.So hat es Bonnie immer gesagt … gütig. Sie seien ein gütiger Mensch. Und darüber habe ich wirklich gelacht. Nicht darüber, dass Sie arglos waren und nichts gemerkt haben von Deirdre und mir. Aber dass jemand in dieser Welt … gütig ist, das war … das konnte ich nicht nachvollziehen. Ich bin es jedenfalls nicht – gütig. Und deshalb ist es besser für Deirdre, wenn sie bei Ihnen bleibt. Sie sind so viel besser für Deirdre als ich. Und für Bonnie. Bitte bleiben Sie gütig. Seien Sie es auch zu … zu Dede. Sie konnte nichts dafür. Wenn es jemandes Schuld war … dann war es meine. Auf jeden Fall ist es vorbei. Ich werde Deirdre niemals wiedersehen. Sie haben mein Wort.«
Victor wusste nicht, wie viel auf das Wort eines Rebellen zu geben war, aber er war bereit, Jefe zu glauben. Noch einmal sah er zu der schluchzenden Mireille hinüber, die sich immer noch an Macandal klammerte. Die Maroons wollten seine Leiche fortbringen, aber sie konnte sich nicht trennen. Dabei hatte sie ihrem Mann sicher mehr zu vergeben gehabt als Victor Deirdre.
»Ich werde dann gehen«, sagte er nur und nahm seine Tasche. »Es ist sehr spät. Meine … meine Frau wird sich sorgen.«
Jefe begleitete Victor noch bis zu einer der größeren Straßen. In den engen Gassen hinter den Schenken hätte er sich leicht verirren können. Victor erwartete, dass er ihm Grüße an Deirdre aufgeben würde, aber er schwieg.
»Ich werde Bonnie von Ihnen grüßen«, sagte Victor schließlich.
Jefe lächelte. »Grüßen Sie Bobbie!«
Er sah dem Arzt nach, als der in den jetzt menschenleeren Straßen von Cap-Français verschwand.
Doch als er sich zum Gehen wandte, sah er, dass Simaloi hinter ihm stand. Sie war den Männern so leise gefolgt wie eine Katze.
»Er nicht braucht grüßen Bonnie«, erklärte sie mit kalterStimme. »Du noch sehen Bonnie, wenn begleiten mich, bevor gehen zurück in Berge. Die anderen begraben Geist, und du und ich holen Kind!«
KAPITEL 11
V ictor bewegte sich rasch durch die stockdunklen Straßen. Inzwischen hatten sich auch die letzten Nachtschwärmer verzogen, allerdings patrouillierte immer noch Militär. Er war froh, unbehelligt geblieben zu sein, als er endlich sein Haus erreichte. Alles war dunkel, aber im Haus brannte noch Licht, Deirdre musste auf ihn gewartet haben.
Victor hatte gerade den Schlüssel aus der Tasche geholt und machte Anstalten, die Haustür aufzuschließen, als ihn jemand am Arm fasste und daran hinderte. Er erschrak zu Tode.
»Monsieur? Darf ich fragen, wo Sie jetzt noch herkommen?«
Victor wandte sich erschrocken um und erkannte zwei Männer in der Uniform von Gendarmen. Victor hatte die beiden noch nie gesehen. Aber das wunderte ihn nicht, man hatte Gendarmen aus allen möglichen Orten um Cap-Français herum zusammengezogen, um die Hinrichtung zu sichern. Und jetzt hielten sie ihn hier noch an, im letzten Moment schien er ihnen in die Falle gegangen zu sein.
»Ich … ich bin Arzt«, sagte Victor. »Ich komme von einem Patienten.«
»Ihre Kleidung riecht nach Rauch, Doktor«, bemerkte der andere Gendarm.
»Ja?« Victor bemühte sich, unbesorgt zu klingen. »Nun, ich bin seit heute Morgen unterwegs. Ich habe Erste Hilfe auf dem Platz vor dem Palast geleistet.«
»Ach ja?«, fragte der erste Gendarm.
Weitere Kostenlose Bücher