Die Insel Der Tausend Quellen
Nachmittag im Garten.
Sie wollte ihm mit kurzem Gruß aus dem Weg gehen, aber er folgte ihr. Der junge Mann wirkte mutlos, ja fast verzweifelt.
»Nora, können Sie mir nicht einmal sagen, was ich Ihnen getan habe? Ist mein Vater eifersüchtig und hat es Ihnen verboten, oder warum reden Sie nicht mit mir? Ich dachte, ich könnte Ihnen vielleicht wenigstens ein bisschen Gesellschaft leisten, da ich sonst schon nichts mehr zu tun habe, aber …«
»Hat er Sie wirklich rausgeworfen?«, fragte Nora. »Ich dachte, er beruhigt sich. Letztendlich waren Sie doch äußerst erfolgreich. Die Sklaven sagen, Ihr Zug war gestern der beste unter allen, die neue Leute beschäftigten.«
Doug zuckte die Schultern. »Es kommt hier wohl nicht so sehr auf das Ergebnis an, sondern auf die Disziplin. Was ich für falsch halte. Aus Furcht vor der Peitsche arbeiten die Männer nicht wirklich besser. Im Gegenteil. Sie drücken sich, wo sie können, und wenn sie auch nur die kleinste Chance sehen, laufen sie weg.«
Nora nickte widerstrebend. Aber mit seinen letzten Worten hatte Doug etwas angesprochen, was ihr in den letzten Nächten den Schlaf geraubt hatte. Sie konnte nicht anders, sie musste nachhaken.
»Wissen Sie etwas von Hollisters Leuten?«, fragte sie. »Haben sie die gefasst?«
Von der Nachbarplantage waren zwei Tage zuvor zwei Schwarze entflohen. Ein Mann und eine Frau, Nora kannte sie. Sie hatte der Frau nach ihrer letzten »Fehlgeburt« beigestanden, und sie wusste, dass die beiden zusammenlebten. Jetzt hatten sie die Flucht gewagt – womöglich weil die Frau wieder schwanger war. Nora mochte an die Konsequenzen gar nicht denken.
»Noch nicht«, sagte Doug. »Aber das ist nur eine Frage der Zeit. Sie haben jetzt die Hunde von Keensley holen lassen, und eben nehmen sie wohl die Fährte auf. Da hätte ich mich heute übrigens ›nützlich machen‹ können, meint mein Vater. Sie suchten noch Männer für die Jagd.«
»Sie wollten aber nicht?«, fragte Nora.
Doug schüttelte den Kopf. »Das nun doch nicht. Ich bin mir sonst für nichts zu schade. Aber das …«
»Ich wünschte, wir hätten keine Sklaven!«, brach es aus Nora heraus. Sie hatte Tränen in den Augen. »Warum können wir nicht einfach weiße Arbeiter kommen lassen und bezahlen – wie in Europa. Sie sagten, Sie waren in den Weinbergen?«
Doug nickte und führte sie zu ihrem Lieblingsplatz im Pavillon. »Nun beruhigen Sie sich erst mal, Nora. Oder du. Wir sind nah verwandt, Nora, und ich … ich denke, wir verstehen einander auch ganz gut. Wir sollten einander nicht siezen.«
»Ob du oder Sie – wir sollten keine Sklaven halten. Das ist nicht christlich!«
Nora wollte wissen, wie Elias’ Sohn und letztendlich der Erbe der Plantage zu dieser Sache stand.
Doug seufzte. »Es würde niemand kommen«, meinte er dann. »Aus Europa, meine ich. Arbeiter. Man hat das ja versucht, am Anfang. Vielleicht hast du mal von ›Lohnsklaven‹ gehört, damit hat man ein paar Schotten und Iren geködert, die so verzweifelt waren, dass sie alles getan hätten für ein Stück Land.«
Nora nickte und suchte nach ihrem Taschentuch. Ihre Augen wurden nun auch aus anderen Gründen feucht. Sie dachte an Simon und seine aufkommende Hoffnung, als McArrow, der frischgebackene Lord of Fennyloch, damals davon erzählte.
»Aber das System hat sich nicht bewährt«, fuhr Doug fort. »Und das nicht nur, weil die Pflanzer kein Land abgeben wollen. Mindestens genauso wichtig war, dass kaum einer der Lohnsklaven auch nur seine fünf Jahre auf den Feldern überlebte. Geschweige denn sieben. Die Weißen können in diesem Klima nicht arbeiten. Sie sterben wie die Fliegen.«
»Die Schwarzen leben auch nicht sehr lange!«, sagte Nora hart.
Doug seufzte. »Das ist richtig. Aber das könnte man ändern. Zum Beispiel indem man sie nicht jeden Tag bis zum Umfallen schuften ließe. Aber im Großen und Ganzen haben sie bessere Ausgangspositionen. Sie sind stark, sie sind das Klima von Kindheit an gewöhnt. Ihre Haut verbrennt nicht so schnell unter der Sonne …«
»Dann müssten wir sie eben bezahlen!«, meinte Nora. »Vielleicht kämen sie ja dann freiwillig aus Afrika.«
Doug lachte. »Das glaube ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass sie sich drüben in Afrika für Lohn verdingen, das Prinzip der Sklaverei ist den Schwarzen keineswegs fremd. Im Gegenteil, in Afrika leben ganze Völker vom Sklavenhandel. Weshalb die Weißen ihre Arbeitskräfte auch gar nicht selbst verschleppen müssen, das
Weitere Kostenlose Bücher