Die Insel Der Tausend Quellen
Vaters geradestehst!«
Auch dafür brachte Nora wenig Verständnis auf, zumal Lord Greenboroughs Schuldner keineswegs Ehrenmänner waren, sondern ziemlich üble Buchmacher und Spieler. Nora riet ihrem Liebsten bedenkenlos, sie zwei Monate hinzuhalten und sich dann mit dem gesparten Geld in eine der Kolonien abzusetzen. Die Gauner mochten in England einen gewissen Einfluss haben – wobei Nora überzeugt war, dass auch der sich weitgehend auf London beschränkte –, aber bis nach Barbados oder Virginia reichte er sicher nicht. Simon betrachtete Spielschulden jedoch als Ehrenschulden – und überhaupt entzog sich ein Gentleman nicht seinen Pflichten gegenüber Stand und Familie. Noras sich häufig wiederholende Bemerkungen zu dieser Angelegenheit ließ er unkommentiert.
»Auf jeden Fall musst du jetzt mit Papa reden!«, entschied die junge Frau schließlich, während sie sich bei Simon unterhakte und ihn damit unauffällig zu ihrer Kutsche manövrierte. Auf dem Hinweg war er wieder gelaufen, um die Kosten für eine Droschke zu sparen.
Peppers, ihr geduldiger Kutscher, hielt den beiden wortlos den Schlag auf.
»Vielen Dank, Peppers!« Nora vergaß nie, dem Diener ein Lächeln zu schenken. Sicher auch dies ein Grund, dass ihr Hauspersonal die heimliche Liebe immer noch deckte. »Papa findet eine Lösung. Und er mag dich. Er vertraut dir. Das sieht man doch schon daran, dass er dich die Ladungen kontrollieren lässt und all diese Dinge. Wer weiß, vielleicht ahnt er auch schon was. Du musst jetzt nur unbedingt förmlich um meine Hand anhalten. Sonst können wir uns im Winter ja auch kaum noch sehen.«
Simon nickte ergeben. Mit Letzterem hatte sie Recht, aber dennoch fürchtete er sich bis ins Mark vor der Unterredung mit ihrem Vater. Wenn es nicht so gut ausging, wie Nora hoffte, verlor er damit schließlich nicht nur seine Liebste, sondern womöglich auch seine Anstellung und den warmen Platz im Kontor. Einen vergleichbar guten Arbeitgeber würde er kaum wieder finden – Thomas Reed hatte ihn nicht einmal gerügt, als er Anfang des Monats zwei Tage gefehlt hatte. Simon versuchte, seine hartnäckige Erkältung zu ignorieren, aber zu dieser Zeit war er so fiebrig gewesen, dass er kaum aus dem Bett kam. Natürlich schleppte er sich trotzdem ins Kontor, aber Reed schickte ihn umgehend wieder nach Hause.
»So sind Sie doch zu nichts nütze, Junge, Sie können ja kaum die Feder halten, und ich möchte nicht wissen, was für Zahlen Sie da eben addiert haben.«
Simon wusste diese ungeheure Großzügigkeit zu schätzen – Reed hätte ihn ebenso gut hinauswerfen und eventuelle Verluste durch seine Fehler vom Lohn abziehen können. So große Unterschiede bestanden nicht zwischen Lohnsklaverei auf den Inseln und einer ganz normalen Anstellung in London. Jetzt ahnte er jedoch, dass Nora sich nicht länger würde hinhalten lassen. Sie hielt die Zustimmung ihres Vaters zu ihrer Verlobung offensichtlich für eine beschlossene Sache.
»Nächste Woche, Simon! An diesem Samstag ist der große Ball der Kaufmannsvereinigung, da ist Papa abgelenkt – und ich muss auch noch das Kleid anprobieren und Frisuren besprechen … Und dann dieser Tanzunterricht, wer braucht schon die Bourgogne in den Kolonien?«
Nora tat stets so, als interessiere sie sich nicht für die Bälle und Empfänge, zu denen sie ihren Vater begleitete, weil Simon selbst natürlich nie geladen war. Aber im Grunde freute sie sich darauf. Sie liebte schöne Kleider und übte sich gern in den modischen Tänzen. Allerdings verzichtete sie auf jeden Flirt und jede Tändelei mit den jungen Männern, die ihre Tanzkarte füllten. Nora Reed hatte ihre Wahl getroffen – aber sie fieberte dem Tag entgegen, an dem Simon Greenborough sie zum ersten Mal durch ein Menuett führen würde. Und wer konnte es wissen, vielleicht tanzten sie ja übers Jahr schon unter Palmen! In London erzählte man sich von rauschenden Festen in den Residenzen der Zuckerrohrpflanzer auf den Inseln im Karibischen Meer.
»Aber in der nächsten Woche steht weiter nichts an, da haben wir dann auch Zeit, die Verlobung zu planen – mein Vater gibt bestimmt ein Fest! Und du musst über deinen Schatten springen und dir neue Sachen kaufen! Pass auf, wenn du erst mal den richtigen Leuten vorgestellt worden bist, findet sich auch ein Posten in den Kolonien! Oh, stell dir nur vor, Simon! Einmal aus dem Fenster sehen und nicht in strömenden Regen gucken, sondern in strahlenden Sonnenschein!«
Nora
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