Die Insel Der Tausend Quellen
schmiegte sich an ihren Liebsten, sein wild pochendes Herz hielt sie für eine Freudenbekundung. Ein Scheitern seiner Werbung war unmöglich. Nora genoss den Ball der Kaufmannsvereinigung, während Simon versuchte, an seinem freien Sonntag seinen Husten auszukurieren. Er erstand Kamillenblüten und wenigstens so viel Brennholz, um Tee kochen und seinen zugigen Raum halbwegs beheizen zu können. Seine bärbeißige Vermieterin, Mrs. Paddington, kommentierte das mit boshaftem Spott.
»Na, ist der Wohlstand ausgebrochen bei Mylord? Muss ich Euch womöglich bald wieder mit Eurem Titel anreden?«
Simon sparte sich die Bemerkung, dass sich dies ohnehin gehört hätte, egal ob arm oder reich. Mal ganz abgesehen davon, dass Mrs. Paddington es eigentlich immer tat. Allerdings klang ihr Mylord oder Viscount Greenborough eher wie eine Beleidigung als wie ein Ehrentitel. Die Frau fand offensichtlich größte Genugtuung bei der Feststellung, dass ein Mitglied des Adels in die Niederungen ihres schmutzigen, nach dem großen Feuer von London nur billig und hässlich wieder aufgebauten Viertels absteigen konnte.
Simon zerrte seine Bettstatt schließlich so nah wie möglich an den Kamin und verbrachte den Sonntag unter seinen kratzigen, klammen Decken. Sehr viel Besserung brachte das nicht, der Kamin war lange nicht befeuert worden und noch länger nicht gekehrt. Er zog schlecht, und Simon hatte insofern die Wahl zwischen Kälte und Qualm. Letztlich entschloss er sich wieder für Erstere. Der Rauch verschlimmerte den Husten zudem, und die Kälte war wenigstens umsonst.
Nora entschloss sich schließlich für den Dienstag als Tag ihrer offiziellen Verlobung. Simon sollte ihrem Vater gleich nach der Arbeit im Kontor seine Aufwartung machen. Thomas Reed würde es sich dann schon zu Hause gemütlich gemacht haben, er ging meist vor seinen Schreibern, die oft noch bei Kerzenlicht die letzten Bücher in Ordnung brachten.
Simon zögerte den Aufbruch denn auch so lange hinaus wie eben möglich. Reed sollte auf keinen Fall denken, er zöge sich früh aus dem Kontor zurück oder drücke sich gerade an diesem Tag um die Arbeit. Aber schließlich ging auch der letzte Bürodiener, nachdem er das Kontor gefegt, die Federn angespitzt und die Tintenfässer für den nächsten Arbeitstag gefüllt hatte. Dem jungen Mann oblag es auch, die Feuer in den Kaminen und die Kerzen zu löschen, wenn der letzte Schreiber fertig war. Simon konnte ihn unmöglich noch länger warten lassen, indem er wichtige Arbeiten vortäuschte.
Zum Glück regnete es an diesem Tag nicht, sodass Simon den Weg nach Mayfair zu Fuß zurücklegen konnte. Er hätte sich sonst eine Droschke gegönnt – nicht auszudenken, dass er mit nassem, verknittertem Jabot vor seinen künftigen Schwiegervater trat. Das gesparte Geld hatte der junge Mann in einen Blumenstrauß für Nora investiert, der sich wirklich sehen lassen konnte – und dennoch verließ ihn fast der Mut, als er schließlich vor dem hochherrschaftlichen Haus in dem erst kurze Zeit zuvor erschlossenen Stadtteil Mayfair stand. Reed hatte das Herrenhaus vor wenigen Jahren bauen lassen. Seine Fassade war durch Pilaster in drei Teile gegliedert, der Dreiecksgiebel erinnerte an einen römischen Tempel, und dahinter erstreckte sich ein kleiner Park. All das war viel prächtiger, als Greenborough Manor je gewesen war.
Selbst in den besten Zeiten seiner Familie wäre Simon kein würdiger Bewerber um die Hand der Tochter dieses Hauses gewesen. Schließlich nahm er sich jedoch zusammen und betätigte den Türklopfer. Die Haustür wurde fast sofort geöffnet. Das zierliche junge Mädchen in der adretten Dienstbotenuniform schien nur auf ihn gewartet zu haben. Es blinzelte ihn verschwörerisch an, als er seinen Namen sagte und um eine Unterredung mit dem Hausherrn bat. Wahrscheinlich eine weitere »Vertraute« unter den Dienstboten, die Nora in ihre Liebesgeschichte eingeweiht hatte.
»Ich melde Sie dem Butler!«, erklärte die kleine Rothaarige freundlich. »Aber wenn ich Ihnen den Mantel schon mal abnehmen darf …«
Simon fand sich schließlich in einem kostbar möblierten Empfangsraum wieder und erwartete einen weiteren, diesmal höherrangigen Hausangestellten. Stattdessen erschien jedoch Nora.
»Simon!« Sie strahlte ihn an. »Du siehst gut aus! Wenn du bloß nicht so ängstlich gucken würdest!«
Simon versuchte, zurückzulächeln. Sie konnte das eigentlich nicht ernst meinen, er wusste nur zu genau, dass er blass war und
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