Die Insel Der Tausend Quellen
um Gottes willen … Wir müssen weg von hier, schnell.«
Doug hakte Ruth unter. Das würde helfen, schneller vorwärtszukommen.
»Die … Schwarzen …« Nora sah sich um.
Sie war schon nach einem Augenblick völlig durchnässt.
»Sind alle weg, Kwadwo leistet gute Arbeit, aber die Aufseher haben erst alles behindert … und ich … ich bin der Letzte, aber ich hatte dich nicht mit meinem Vater gehen sehen … Halten Sie sich an mir fest, Mrs. Stevens, aber gehen sie selbst …«
Ruth konnte sich kaum allein aufrecht halten, und Nora ging es nicht viel besser. Die beiden Frauen trugen Sonntagskleidung, die bei Ruth allerdings bescheiden ausfiel. Ihr Rock aus dunklem Tuch war zwar sicher schwer, behinderte ihre Bewegungen aber nicht so stark wie Noras voluminöser Reifrock.
Doug erkannte das mit einem Blick. »Zieh das Ding aus, Nora, es zieht dich runter!«
Nora nestelte an dem Rock, während sie sich neben Doug in Richtung der Windmühle kämpfte. Ruth wimmerte, dass dies nicht der richtige Weg zum Haus sei, aber für Nora und Doug war klar, dass sie es niemals bis nach Cascarilla Gardens schaffen würden. Der Weg zum Haus stieg nur sanft an, das Wasser würde sie einholen. Der Pfad zu den Wirtschaftsgebäuden war dagegen verhältnismäßig steil. Wenn sie nur vorwärtskämen … Die Flut zerrte an Noras bleischweren Röcken.
»Steh still, Nora!« Doug musste schreien, um gegen den Wind anzukommen. »Ich helf dir.«
Er ließ Ruth einen Herzschlag lang los, riss sein Messer aus der Tasche und zertrennte blitzschnell den Stoff unterhalb von Noras Hüfte.
Ruth schrie entsetzt auf, anscheinend dachte sie selbst in diesem Moment noch an Schicklichkeit. Nora fühlte sich jedoch befreit, nachdem sie sich aus den Resten des Rocks gekämpft hatte. Sie kam endlich vorwärts, das Baby fest an sich gedrückt. Doug versuchte, nicht nur das Kleinkind über Wasser, sondern auch Ruth zu halten und mit sich zu ziehen. Die junge Frau heulte und betete, was sich mit dem Schreien der beiden Kleinen und dem rasenden Wind zu einer nervenzerfetzenden Kakophonie verband. Nora sehnte sich danach, sie zum Schweigen zu bringen. Sie tastete sich mühsam über den schlüpfrigen Grund; der Weg zu den Wirtschaftsgebäuden war befestigt, aber nicht sehr gut. Schließlich schüttelte sie ihre Schuhe ab, presste das Kleine noch fester an sich und begann, so gut sie konnte, zu schwimmen. Das Wasser reichte ihr inzwischen fast bis zum Hals – sie kam schwimmend deutlich schneller voran, zumal der Wind in ihre Richtung wehte. Die Wellen trugen sie. Aber das Baby … und Doug mit Ruth …
Inzwischen kamen die ersten Wirtschaftsgebäude auf dem Hügel in Sicht, aber sie waren noch weit entfernt von trockenem Land. Das Dach der Destillerie ragte wie eine Insel aus dem Wasser. Eine rettende Insel? Nora überlegte, sie anzusteuern, aber andererseits konnte es gut sein, dass das Wasser weiter stieg und das Dach auch noch überflutete.
Doug schien ähnliche Überlegungen zu hegen, er musste sehen, dass nicht nur Ruths, sondern auch Noras Kräfte schwanden. Und sie mussten dringend aus dem Wasser. Dächer, die primitiven Möbel aus den Sklavenquartieren und ganze entwurzelte Bäume trieben an ihnen vorbei. Sie liefen Gefahr, von ihnen erfasst und womöglich erschlagen zu werden. Die Wellen schlugen immer höher, der Sturm nahm an Stärke noch zu.
»Wir müssen da rauf, Nora!« Doug keuchte. »Schwimm weiter!«
Nora nahm noch einmal alle Kraft zusammen, um nicht von der Strömung mitgezogen zu werden. Und schließlich klammerte sie sich wimmernd an den Rand des Daches der Destillerie. Sie versuchte, das Baby hinaufzuwuchten, aber es gelang ihr nicht. Sie brauchte schon alle Energie, um den Kopf des Kindes über Wasser zu halten. Während sie schwamm, hatte sie das nicht immer geschafft, womöglich war das Baby längst ertrunken – es hatte jedenfalls aufgehört zu schreien.
Nach einer gefühlten Ewigkeit in einem Inferno von Sturm und Regen, der die Welt um sie herum in fast völlige Dunkelheit getaucht hatte, hörte Nora neben sich Dougs Stimme.
»Festhalten, Mrs. Stevens, festhalten! Verdammt, so fassen Sie schon zu!«
»Die Kinder … Mary, Sam …«, wimmerte Ruth.
Doug hievte ein nasses Bündel auf das Dach. Auch das kleine Mädchen, das er getragen hatte, bewegte sich nicht mehr. Nur der Wind zerrte an dem feinen Haar und den Kleidern des Kindes.
Doug kämpfte mit Ruth, die sich an ihn klammerte. »Herrgott, Mrs. Stevens, halten Sie
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