Die Insel Der Tausend Quellen
er. Aber ich kann nichts für die Farbe meiner Haut. Ich kann nichts für die Entscheidungen meines Vaters. Und ich schwöre bei Gott, Nora, seit ich wieder hier bin, seit ich die Narben auf seinem Rücken gesehen habe und seit er mich behandelt, als … als ob … als ob ich sein Feind sei … Ich denke jeden Tag daran, was ich hätte tun können, wie ich ihm hätte helfen können.« Er vergrub das Gesicht in den Händen.
Nora konnte nicht anders, sie ging zu ihm und legte den Arm um ihn.
»Und ich hab auch noch gedacht, du …«
Doug zog sie an sich. »Aber du glaubst mir?«, fragte er leise.
Nora nickte. Natürlich glaubte sie ihm, und auch sie hatte nun Schuldgefühle. Sie hatte Máanus Erzählung – und Máanus Wut – völlig falsch gedeutet.
»Du warst ein Kind, Doug, hör auf, dir etwas vorzuwerfen. Du hattest keine Schuld. Dieses verdammte System ist schuld, die Sklaverei. Und …«
Und Elias, dachte sie.
Nora hatte kein schlechtes Gewissen gegenüber ihrem Mann, und sie dachte auch ausnahmsweise nicht an Simon, als sie es gleich darauf zuließ, dass Doug sie zärtlich küsste.
KAPITEL 3
W ären aufgebrachte Geister für den Ausbruch eines Sturmes verantwortlich gewesen, wie Kwadwo glaubte, dann hätte Akwasi sicher einen entfesselt, als er Doug und Nora in inniglicher Umarmung sah.
Weder Doug noch Nora hatten größere Notiz von dem Holzfällertrupp genommen, der im Wald, ganz in der Nähe ihres Weges zum Meer, mit dem Fällen und Zerlegen zweier älterer Mahagonibäume beschäftigt war. Elias Fortnam hatte entschieden, dass die Bäume dem nächsten Sommersturm ohnehin nicht mehr trotzen würden, und gedachte, das Holz zu verkaufen, solange es noch etwas wert war. Zu den damit beauftragten Sklaven gehörte Akwasi, der in der Krone eines der Bäume hockte, um die stärkeren äste abzusägen, bevor man den Stamm zu Fall brachte. Er hatte eine exzellente Sicht auf das Liebespaar, und sein Hass auf den alten Rivalen schwoll so schnell an, dass ein Hurrikan dagegen betulich gewirkt hätte. Kein Duppy, kein Gott und kein Geist konnte von einer derart lodernden Wut unbeeindruckt bleiben – aber wie immer hielten sich die himmlischen Mächte heraus aus dem Schicksal der Menschen. Weder erfolgte ein Blitzschlag noch tat sich die Erde auf, um Akwasis Widersacher zu verschlingen.
Tatsächlich reagierte überhaupt nur der Aufseher auf Akwasis plötzliches Erstarren. Er brüllte den Sklaven an, endlich mit der Arbeit fortzufahren. Akwasi tat es schließlich. Aber in seiner Fantasie fuhr die Säge nicht durch die Zweige des Mahagonibaums, sondern durch Fleisch und Knochen des Mannes, den er einmal für seinen Freund gehalten hatte …
Nora Fortnam spürte den ersten Windhauch an einem Sonntagmorgen, als sie gelangweilt neben Ruth Stevens saß und sich die Predigt ihres Mannes anhörte. Auch die Aufseher und Pflanzer besuchten traditionell die Gebetsstunde des Reverends für die Sklaven – ganz so, als wären vor Gott und Jesus Christus alle gleich. Die Aufseher achteten allerdings eher darauf, ob unter den Schwarzen auch keiner fehlte, die Anwesenheit beim Gottesdienst war Pflicht. Und Pflanzer wie Elias Fortnam hatten auch ein Auge darauf, was der Reverend predigte. Schließlich gab es Bestrebungen unter christlichen Gruppierungen, Schwarze und Weiße wirklich gleichzusetzen, sprich, die Sklaverei zu verbieten. Die Predigten ihrer Vertreter wirkten aufwieglerisch, aber was das anging, war von Stevens nichts zu befürchten.
An diesem Tag zum Beispiel zitierte er salbungsvoll das Gleichnis vom Guten Hirten und fand reichlich Parallelen zwischen einem hingebungsvollen Schäfer und einem braven Zuckerrohrpflanzer, der aufopferungsvoll für seine Sklaven sorgte. Elias wirkte zufrieden, während Doug die Lippen zusammenpresste. Nora sah das, versucht, ihm verständnisvoll zuzublinzeln, ließ es dann jedoch besser. Sie wusste, dass er sie für wankelmütig hielt, aber seit jenem ersten Kuss im Wald hatte sie sich ihm wieder konsequent entzogen. So etwas durfte sich auf keinen Fall wiederholen, Nora war schließlich nicht frei. Gut, Doug brauchte nicht zu wissen, dass Simon ihre Seele besaß. Aber Elias hatte ein Anrecht auf ihren Körper. Nicht auszudenken, wenn er dahinterkam, dass sie ihn mit seinem eigenen Sohn betrog!
Während Ruth Stevens neben ihr laut und falsch ein Kirchenlied intonierte, sprach Nora im Stillen ein Gebet für Simon. Sie tat das stets während des Gottesdienstes – auch wenn sie dabei
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